©Kammerspiele Landshut, Gianmarco Bresadola
Das komfortable Jagdhaus reduziert Bühnenbildner Helmut Stürmer auf eine kleine Hütte, die metallisch glänzend eher einer Gefängniszelle gleicht. Wie besessen schreibt Julia Koschitz als namenlose Protagonistin des Romans Tagebuch. Fast eineinhalb Stunden reflektiert sie das Leben aus der Perspektive Marlen Haushofers, wie diese Frau war und jetzt ist, strähnig die Haare, wirr der Blick, in grauer Unterwäsche ein Bündel der Verzweiflung. Doch Sonnenlicht durchpulst sie, egal wie schlimm sich die Jahreszeiten, insbesondere der Winter anfühlen. Mit weitem Blick schaut Julia Koschitz in die Ferne, während sie in großen Bögen atemlos wie im antiken Theater ihre Gedanken rhythmisiert, hauchzart untermalt von einem ständig variierenden Dreiklang, der das Leben weiterspielt. Sie, die Natur und die Tiere, der Hund, die Kuh, die Katze. Das sind die Lebewesen, die ihr Kraft, Nahrung und Wärme geben. Gleichzeitig symbolisieren sie durch Gebären und Tod die Eckpunkte existenziellen Seins.
Ganz sachlich, ohne Emotionalisierung blickt Julia Koschitz auf dieses Leben, in dem das Wesentliche eine neue Bedeutung bekommt, wie es gerade durch die Pandemie in den letzten Monaten auch gesamtgesellschaftlich in den Mittelpunkt rückte. Nüchtern erzählt sie von den ungewohnten Herausforderungen, bewertet ihre Erinnerungen neu, von denen ihr nur noch ihre beiden Mädchen, als sie klein waren, emotional nahe stehen. Zu stark war die gesellschaftliche Einengung, die ihr jegliche Freiheit nahm.
©Kammerspiele Landshut, Gianmarco Bresadola
Selbst der Blick in die Natur bleibt stets nüchtern ohne das große Aufatmen und die Freude über den Weitblick bei ihren Wanderungen auf die Alm, die in der Landshuter Version ausgespart bleiben. Der Horror, als ein Fremder auftaucht, den sie abknallt, weil er den Hund und die Kuh erschoss, bleibt auf der Bühne nur durch den Spot auf eine Leiter als kaltes Dingsymbol für den fremden Hünen beleuchtet ohne Schrecken.
Trotz Julia Koschitz´ expressiver Körpersprache drängt sich, ganz bewusst, durch die Lichtregie verstärkt, statt innerlichen Berührtseins ein sich beruhigender distanzierender Erzählduktus in den Vordergrund. Das Licht wetterleuchtet beliebig, ohne groß zu emotionalisieren. Der eigentliche Schmerz bleibt wie eingemauert, wird selbst in dem nebenbei laufenden Schwarz-Weiß-Video durch eine Plastikfolie verwischt. Helmut Stürmers Spiegelfläche bleibt als Projektionsmöglichkeit ungenützt. Nur dann, wenn bühnengroß zwischen verdorrten Gräsern Julia Koschitz´ Konterfei versteinert mit Haaren wie Wurzeln aufleuchtet, wird spürbar, wie stark sich diese Frau verändert hat und welch bedrückende Energie dieser Roman ausstrahlt. Solche Momente wünschte man sich mehr.
Dass Sven Grunert Julia Koschitz am Schluss mit gestreckter Rückenansicht, sichtlich befreit, zu einer einschmeichelnden Chansonmusik sich räkeln lässt, ist aus seiner konzeptionellen Sicht vom poetischen Theater und als lebensbejahender Gegenpol zur Pandemie nachvollziehbar und setzt einen ganz neuen, unerwarteten lebensbejahend, sehr ästhetischen Akzent. Innovativ und mutig oder aufgesetzt? Das entscheidet jeder Zuschauer für sich.