George Orwell „Reise durch Ruinen – Reportagen aus Deutschland und Österreich 1945″  

Buchrezension George Orwell "Reise durch Ruinen" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©C.H. Beck texura

George Orwell war erschüttert, wie es in Deutschland und Österreich aussah, welchem Hass er in Frankreich gegenüber den Deutschen begegnete, wie demütigend dort Gefangene behandelt wurden, während die Amerikaner ganz locker mit den Nazi-Soldaten umgingen. Statt Monstern fand George Orwell armselige, hungernde Menschen, die sich den Besatzern weniger  als Feind denn als Retter in serviler Haltung näherten.

Prägnant und sachlich, schlicht und emotionslos beschreibt George Orwell seine Beobachtungen. Er ist erstaunt in Köln nicht arischen Herrenmenschen zu begegnen, sondern kleinen, dunkelhaarigen Menschen, die sich schämen den Krieg verloren zu haben. Angesichts von 10 Millionen Heimatlosen beschäftigt George Orwell immer wieder die Frage der Displaced Persons und deren Repatriierung genauso wie die zu erwartende Hungerkatastrophe. Angesichts der erschreckenden Zerstörungswut der Bomben überlegte er, wie lange es dauern werde, bis das  Wohlstandsniveau von 1939 wiederhergestellt sein würde. 

Widerstand war nicht zu erwarten, längst wussten die Deutschen, dass der Krieg verloren war. Wichtig war Ihnen in britische oder amerikanische Besatzung zu kommen. Gleichzeitig begann, kaum war der Krieg zu Ende, das Ringen die Westdeutschen in den westlich besetzten Zonen zu behalten. Immer wieder stellt George Orwell die Frage, wie sich das Nazi-System rekrutieren konnte, da sich die Deutschen kaum als Nazis outeten. Hass und Rache erschienen ihm, auch wenn er diese Gefühle verstehen konnte, angesichts des allgemeinen Elends als deplaziert. 

In einem seiner Artikel zu Deutschland von 1940-1945 gibt er sogar öffentlich zu Hitler nicht als unsympathisch empfunden zu haben. In der Unterschätzung Hitlers seitens der Konservativen sieht er dessen schnellen Aufstieg, wobei Thomas Mann und dessen Standfestigkeit für Wahrheit und Gerechtigkeit und konsequente Ablehnung des Krieges George Orwell bewundernd unterstreicht. 

Zielsicher prognostiziert George Orwell bereits im Juni 1945 die Beziehung der beiden Großmächte USA und UDSSR geprägt von Konkurrenz um die Einflusszonen und eine Verhärtung der Grenzen, um die sich die kleineren Nationen gruppieren. „Die Tage, in denen die Welt aus einem Flickenteppich von kleinen und vollkommen unabhängigen Staaten bestand, sind vorbei.“

Im 24-seitigen Nachwort skizziert Publizist und Rezensent Volker Ullrich die Vita George Orwells und geht dabei nochmals auf die wesentlichen Aspekte der Reportagen ein, was von kleineren Details abgesehen zu unnötigen Wiederholungen führt. Zu Recht verweist Volker Ullrich auf eine Leerstelle. Der Holocaust bleibt bei George Orwell unerwähnt.

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George Orwell wurde 1903 in Indien geboren. Er wuchs in England auf. 1922 meldete er sich für den Polizeidienst in Burma, den er fünf Jahre wegen der menschenunwürdigen Praktiken der britischen Kolonialherrschaft quittierte. Er schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch und begann zu schreiben. Er dachte als Sozialist und lehnte jeglichen Imperialismus ab. Ende 1936 kämpfte er im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Franco-Faschisten. Die Erlebnisse verarbeitete er schriftstellerisch ohne großen Erfolg. Erst mit „Animal Farm“, der Parabel über das Versagen totalitärer Systeme, brachte ihm 1945  den Durchbruch. Mit „1984“, der Dystopie eines totalitären Überwachungsstaates,  wurde er 1949 weltberühmt. Er gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller Großbritanniens. 1950 starb er in London.