"Kultur macht glücklich"


Landshut – „Der Watzmann ruft“ – das Kult-Musical im Landestheater Niederbayern 

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Landshut – „Der Watzmann ruft“ – das Kult-Musical im Landestheater Niederbayern 

©Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Damit das Musical nicht allzu seicht ist, hat es Regisseur Marcus Everding strukturell und textlich kräftig aufgepeppt. Er gewichtet den Erzähler zur tragenden Rolle, aus dessen Sicht das Geschehen mit der nötigen Distanz noch parodistischer wirkt. Im smarten Anzug schon optisch, mit seiner Nonchalance auch sprachlich fokussiert Joachim Vollrath als Conférencier immer wieder auf die Schwächen der Menschen und greift zwischendurch, je nach Hut, mit Gamsbart als Amtmann oder Kappe als Priester autoritär moralisierend ins Geschehen ein.

Die Furcht vor dem Berg drückt alle,  die zwei Knechte, brünftige Einfaltspinsel, und die zwei Mägde, ältliche Betschwestern, vor allem auf den Bauern,  was Reinhard Peer mit einem stimmkräftigen „Hoho oo o ho o ohoo“ zu elektrifizierenden Gitarrenriffs hörbar macht.

Theaterkritik "Der Watzmann ruft" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Der Sohn (Stefan Sieh)  scheint das nächste Opfer des Watzmann zu werden. Mitten beim Essen kündet ein Gewitter die Gefahr an. Mittsommer steht vor der Tür, in der die schöne Gailtalerin die Menschen verführt. Sie hat auf „alle Geschlechter Appetit. Ganz in Rot als Revuelady von einst, verführerische Buhlschaft und latente Mephistophela zugleich magnetisiert Katharina Elisabeth Kram Knechte wie Mägde, den den Bub, wie der Vater den Sohn immer noch nennt, etwas später bei der Jagd als raffiniert verwandelte Gemse. Indem sie die Lust, den Trieb animiert, hat sie alle im Griff. „Aufwärts braucht´s für einen jungen Mann. Hinauf, hinein und endlich zum Manne werden“.

Großartige holzschnittartige bäuerliche Genreszenen gelingen, mitreißend gespielt rund um die Kargheit des Tisches im Kampf um die tägliche Suppe, beim Gstanzlsingen samt schwingenden Mistgabeln und Rosenkränzen, bäuerliches Sodom und Gomorra in der Mittsommernacht, in der der Bub sich endlich ein Techtelmechtel anlachen soll, aber stattdessen mit einer zerbrochenen Hostie als Gänseblümchen-Ersatz „Auffi“, „Ned auffi“ in den kirchlichen Kelch auf rotem Tischtuch auszählt und damit schon in den Opferlamm-Status gerät.

Theaterkritik "Der Watzmann ruft" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Der Zauber des schönsten Echos in den Berges entfaltet sich um so schöner nach einem schräg misslungenen Versuch des Vaters und der Absturz des Bubs hoch oben von der Plakatwand beobachtet vom Publikum wiederholt sich noch einmal aus der Sicht des Vaters. Ein feines Surren wird hörbar. Der Watzmann ruft. Der Vater macht sich auf den Weg. Er ist das nächste Opfer. 

Die Inszenierung groovt zwischen „Gstanzln“ und Elektrogitarre. Das Hofmannsthalsche „nit“ aus „Jedermann“ verwandelt sich zunehmend ein kehlig charmantes Tirolerisch. Die Spielfreude des Ensembles inklusive des Chors der Mägde und Knechte wirkt ansteckend, wird mit Zwischenapplaus fast nach jedem Song honoriert. Immer anspielungsreicher wird die Geschichte vom Gipfelstürmen und schaukelt sich zum witzig moralisierenden Zeigefinger hoch, den man nicht krumm nimmt, weil er mit den Slogan-Mitteln der Werbung diese wiederum intelligent parodiert. „Genug ist nie genug.“ Mit dieser Moritat von der triebhaften Konsumsucht trifft Marcus Everding genau den Nagel auf den Kopf. „Gebt Obacht, wen ihr ruft!“ Wenn niemand nein sagt, nur Schuldzuweisungen bei Opfern erfolgen, ändert sich nichts. Als Schlussbotschaft hält der Erzähler appellativ eine Tafel hoch „ Es könnte alles besser sein“ und dann noch eine „Das Glück will sich finden lassen.“ Das sind schöne Botschaften in einer Zeit, in der auf den großstädtischen Bühnen oft nur noch depressive Weltsichten vorherrschen. Dem Wunsch des Ensembles im Zugabe-Gstanzl, die Kunst bei der nächsten Gelegenheit nicht gleich wieder einsperren zu lassen, kann man nur zustimmen. 

Künstlerisches Team: Marcus Everding (Regie), Bernd Meyer (Musikalische Leitung), Claudia Weinhart (Ausstattung), Dana Dessau (Dramaturgie)

Mit: Joachim Vollrath, Reinhard Peer, Stefan Sieh, Katharina Elisabeth Kram, Julian Ricker, Alexander Nadler, Antonia Reidel, Frederike Baldin, Tim Mannot, Heinrich Wannisch, Daniela Neumeier, Judith Täubert

Band: Bernd Meyer, Uli Zrenner Wolkenstein, Andrea Paoletti/Christoph Huber, Andreas Blüml/Robert Prill