Hamburg – „Anatomie eines Suizids“  im Schauspielhaus in der 10er Auswahl des diesjährigen virtuellen „Berliner Theatertreffens“

Theaterkritik "Anatomie eines Suizids" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Stephen Cummiskey, 2019

Drei Türen öffnen sich, geben Einblick in drei Schicksale aus den 1980er, 2000er und 2030er Jahren, doch der Generationenzusammenhang erschließt sich erst am Schluss, als Bonnie sich sterilisieren lassen will, um das Familiendrama zu beenden. 

In spannenden Parallelszenen kristallisieren sich drei weibliche Lebensläufe heraus. Die Frauen agieren nebeneinander, nicht miteinander, woraus sich trotz verschiedener Generationen eine Simultaneität ergibt, ohne dass es Rückblenden bedarf. Clara (Julia Wieninger) ist wegen ihrer aufgeschnittenen  Schlagadern in der Klinik, Anna (Gala Othero Winter) wegen ihrer Drogensucht, Bonnie (Sandra Gerling) wegen eines Unfalls. Alle drei werden wieder in ihren Alltag entlassen, der in kurzen Parallelszenen aufleuchtet. Tisch und Stuhl, Tag- und Nachtlicht genügen. Wie Schaufensterpuppen stehen die drei Frauen da, werden auf abgedunkelter Bühne wie  im Traum umgekleidet, immer chicer, immer stabiler. Doch was tun, wenn Depressionen latent das Leben bestimmen? Es scheint bergauf zu gehen, doch im Innern lauert der Selbstmord. 

Clara, wie sich später herausstellt die Großmutter, meist in rot erotischer Optik, doch ohne Lebensfreude, zog es schon als Schülerin nach unten. Selbstmord ist großes Thema. Die Geburt ihrer Tochter Anne lässt sie 18 Jahre durchhalten. Das Kind hält sie oben, wenn sie nach unten will. Doch am 18. Geburtstag macht sie Schluss, legt sich auf die Gleise zum ewigen Schlaf. 

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©Stephen Cummiskey, 2019

Ihre Tochter Anna, immer in Blautönen, Farbe der Sehnsucht, überwindet den Tod der Mutter nicht, wird drogensüchtig, findet nach einem weiteren Entzug den Einstieg in ein bürgerliches Leben und verzweifelt bei der schmerzhaften Geburt ihrer Tochter und beendet ihr Leben, indem sie den Föhn ins Wasser fallen lässt. 

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©Stephen Cummiskey, 2019

Als Bonnie, am Schluss in der Farbe der Hoffnung, in Grün durch und durch beziehungsunfähig, sich sterilisieren lassen will, fügen sich die Erinnerungsbilder unter dem Kurzschluss von Annes Föhn plötzlich zur unseligen Familiengeschichte. Nur wenn Bonnie keine Kinder bekommt, kann sie diese Schicksalslinie durchbrechen.

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©Stephen Cummiskey, 2019

Mit faszinierender Präzision, sprachrhythmischer Dynamik spielt das Bochumer Ensemble unter der Regie von Katie Mitchell diese tragische Stück. „Es geht uns gut!“  versetzt skandiert, bohrt sich der Satz wie eine Woge der Ironie ins Bewusstsein. „Ist das normal?“ fragen sie alle drei mit unisoner Wucht. Angesichts dieser Lebensverstrickungen ergibt sich ein eindeutiges Ja. Stabil zu sein, ist nicht einfach, worum das Stück kreist, macht die Inszenierung intensiv erlebbar.