©Schauspielhaus Bochum, Birgit Hupfeld
Von mehreren Kameras gefilmt vermittelte auch der Live-Stream die Dynamik dieses ungewöhnlichen Theaterabends, intensiviert durch Zooms und interessante Perspektiven auf die gesamte Bühnenchoreographie.
Vor dem Spiel verweist die Bühnentechnik des Bochumer Schauspielhauses mit Suchscheinwerfern, Lichtmagie und sich verschiebenden Bühnenzügen auf die endzeitliche Einordnung der Inszenierung als Jenseits im Diesseits, das sich wiederum aus den leeren Zuschauerreihen ergibt. Das Spiel der Technik ganz ohne Menschen verdeutlicht die Unbedeutsamkeit der Menschen. Eine Welt ohne sie ist durchaus denkbar.
Unter der Regie von Johan Simons, wofür Dramaturgin Angela Obst den Originaltext wirkungsvoll kürzte und umstellte, entsteht darüber hinaus ein gesellschaftspolitisches Experiment in der Tradition Huxleys.
Expressiv, aufgereiht in roter Alltagskleidung entlang der Eingangstüren zum Parkett entwickelt sich das Spiel der Nummernfiguren. Sie lehnen an der Wand, sitzen im Parkett, turnen herum, formieren sich auf der Bühne, isolieren sich, unfähig zu sozialen Kontakten, natürlich auch als eine Anspielung auf die Pandemie. Manche ziehen sich aus um ihrer Schutzbedürftigkeit Ausdruck zu geben.
©Schauspielhaus Bochum, Birgit Hupfeld
Plötzlich verschwindet einer von der Fläche. Der Tod hat ihn fortgerissen. Nicht Freude und Sicherheit löst dieses System aus, sondern Angst und Unsicherheit. Wieso sich verlieben, wenn der andere bald tot sein wird? Wieso etwas initiieren, wenn die Lebenszeit so kurz ist?
Nur der Kapselan darf die Kapsel nach dem Tod öffnen und überprüfen. Der Clou ist, dass Johan Simons diesen mit der Schauspielerin Jing Xiang besetzt und damit „Die Unbefristeten“ zur Metapher für totalitäre Systeme noch deutlicher macht. Die Menschen erscheinen von der Geburt bis zum Tod als manipulierbare Sklaven, möglich durch die exotische Symbiose von traditionellen Ritualen und rigorosem Gesetz, spirituellen Gesängen und schmeichelndem Popsong. Jing Xiang schwingt einen langen Stab wie eine magische Barriere, die keiner überschreiten darf. Eingeschüchtert vom Kapselan, dem Stellvertreter der Macht, werden seine Anordnungen nicht hinterfragt, sondern als gegebenes Gesetz devot akzeptiert. Die rote Kleidung verweist zunehmend auf sektenhafte Zu- und Unterordnung, auf die Rigorosität kommunistischer Ideologie und dem damit verbundenen bedingungslosen Glauben an hierarchische Systeme.
Gleichzeitig rückt mit Mercy Dorcas Otiero als ein längst verstorbenes 12-jähriges Mädchen die Bedeutung der Toten in den Mittelpunkt. Wie die „Engel über Berlin“ sind die Toten ganz nah da, ohne von den Lebenden gesehen zu werden. Nur wer mit den Toten spirituell verbunden ist, kann sie wahrnehmen.
Wer allerdings lebt und lästert, wird ganz einfach durch seinen Todestag schachmatt gesetzt.
©Schauspielhaus Bochum, Birgit Hupfeld
Nummer 50 (Stefan Hunstein) hält dagegen, öffnet die Kapsel und findet seinen Verdacht bestätigt. Die Kapsel ist leer, das Gesetz demnach willkürlich. Der Stab als langer Arm des Gesetzes zerbricht. Mit hysterischem Hyperventilieren und affenartigem Gekreische bricht Chaos aus. Die neue Freiheit, leben so lange, wie man will, ist aber genauso wenig eine Lösung wie das fixe Todesdatum, stößt aber gleichzeitig in Anlehnung an Ferdinand von Schirachs „Gott“ eine neue Problematik an.
Hinter der Bühne: Regie: Johan Simons; Textfassung: Angela Obst; Kostüme: Britta Brodda, Sofia Dorazio Brockhausen; Lichtdesign: Denny Klein; Bühnentechnikpräsentation: Andreas Bartsch, Jan Hördemann, Fabian Hoffmann, Christoph Waßenberg; Dramaturgie: Vasco Boenisch, Angela Obst.
Auf der Bühne: Dominik Dos-Reis, Gina Haller, Stefan Hunstein, Marius Huth, Risto Kübar, Mercy Dorcas Otieno, Anne Rietmeijer, Jing Xiang, Elsie de Brauw