Wermutstropfen ist, dass die Inszenierung wegen der komplexen Technik des Bühnenbildes nicht beim diesjährigen Berliner Theatertreffen zu sehen ist, in Dortmund nicht mehr auf dem Programm steht und keine öffentlichkeitstaugliche Verfilmung zur Verfügung steht, denn nach den Laudatios, Ersan Mondtags Dankesrede und einem kurzen 3sat-Trailer ist das Interesse für diese Produktion enorm.
Ersan Aygün wurde 1987 in Berlin geboren und in der Kunstszene als Ersan Mondtag, so die deutsche Übersetzung des türkischen Familiennamens, auf Anhieb ein Shooting-Star der Regie, mit „Tyrannis“, seiner allerersten Inszenierung 2016 für das Staatstheater Kassel. Als(?) Ersan Mondtag eine(?) Einladung zum Berliner Theatertreffen und zum Münchner Festival „radikal jung“ erhielt und von „Theater heute“ als bester Nachwuchsregisseur und Bühnenbildner ausgezeichnet wurde, 2017 mit „Die Vernichtung“ eingeladen wurde und jetzt der 3-Sat-Regiepreis 2019 ihn nochmals hypt.(?)
Sein Regiestudium an der Münchner Otto Falckenberg Schule brach Ersan Mondtag ab und lernte durch die Praxis, assistierte bei Frank Castorf, Claus Peymann, bei Vegard Vinge & Ida Müller. Er setzt sich als Theatermacher über die Genres hinweg, führt Regie, übernimmt oft selbst die Ausstattung, bezieht die bildenden Künste, die filmischen Mittel in seine Arbeiten mit ein.
Seine große Leidenschaft sind Horrorfilme, sein großes Thema die Ängste der Menschen. Die seltene Symbiose von Bühne und Horror, die Präsenz des Vagen, Nicht-genau-Festzulegenden macht seinen Stil so einzigartig und produziert den Hype um ihn herum.
Ersan entwickelt Stücke, bringt Filme und Romane auf die Bühne, inszeniert Klassiker und Uraufführungen, kompromisslos in den künstlerischen Fragen und inzwischen von allen großen Theaterhäusern nachgefragt.
Der Schauspieler steht nicht mehr in seiner Persönlichkeit im Mittelpunkt, sondern der Durchschnittsmensch seiner Individualität verlustig in den Rollen seiner Masken gleichgeschaltet. Das Publikum rückt in die autonome Position sich selbst die Geschichte zu denken, zu deuten.
Zwischen Sprache und Bühne sind für Ersan Mondtag die Bilder am bedeutendsten. Seine Texte sind oft sehr kurz, die Bilder magisch nachhaltig, märchenhaft gruselig, zwischen himmlischen und höllischen Landschaften in toxischen Farben. Die Gewalt kommt ohne richtige Geschichte, ohne Ursache und Wirkung daher, wirkt im freien Raum ohne Recht und Bestrafung. Man muss diese Bildwelten nicht verstehen, um sie zu begreifen, sie wirken intuitiv.
Sichtlich nervös, seine Dankesrede etwas monoton vorlesend wirkt Ersan Mondtag bei der Dankesrede sehr sympathisch und gesprächsbereit, konträr zu seiner zuweilen monierten arroganten Art infolge seiner künstlerischen Stringenz und seines kompromisslosen Durchsetzungsvermögens.
©Michaela Schabel
„Es macht mir Angst“, bekannte er freimütig und leidenschaftlich, wie viele Künstler in der Kunst verschwinden, mit welcher Gewissheit Kunst produziert und Macht inszeniert wird. „Jeder, der behauptet, unschuldig zu sein, ist, wo es keine Unschuld mehr gibt, ein Monster“. Für Ersan Mondtag hat der Markt nicht die Sklaverei abgeschafft, sondern „er erhält sie“. Ersan Mondtags Grundüberlegung ist, was bleibt angesichts des Todes, „was habe ich getan, die Ungerechtigkeit zu ändern.“ Dieser ethische Anspruch ist für ihn der Gradmesser der Kunst, die die Eitelkeiten des Menschen spiegelt, aber keine Gewissheiten verkünden kann. „Das Falscheste ist zu glauben, alles zu verstehen, was passiert.“ Für Ersan Mondtag ist Theater ein Ausnahmezustand, der auf halluzinative Ergebnisse zielt.