"Kultur macht glücklich"


Berlin „Tschewengur“ – im Maxim-Gorki-Theater nach dem Roman von Andrej Platonow

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Berlin „Tschewengur“ – im Maxim-Gorki-Theater nach dem Roman von Andrej Platonow

©Maxim-Gorki-Theater, Chris Kondek

Monumental dokumentiert ein verkommener Betonturm gleich zu Beginn das Scheitern der Revolution. Vollkommen verloren wirken die paar scheinbar übrig gebliebenen Menschen auf einem desolaten Balkon, trotz der weiten Sicht ohne jegliche Perspektive. Genau darum geht es in Platonows Roman „Tschewengur“, in dem Platonow, im Westen ziemlich unbekannt, auf Augenhöhe von Kafka und Beckett unser existentielles Dasein, allerdings vor ideologischem Hintergrund hinterfragt. 

Platonow holt philosophisch und kulturgeschichtlich aus, ironisiert mit scharfer Feder, kein Wunder, dass er unter Stalin nicht publiziert werden konnte. 

Der Film folgt Andrej Platonows historischem Weg von der Revolution über Bürgerkrieg, Neue Ökonomische Politik, Beginn der Kollektivierung und legt die Finger in die Wunden sich bekämpfender Ideologien, arbeitet vor allem Platonows Vision eines besseren Lebens im Einklang mit der Natur heraus, die jetzt 100 Jahre danach immer noch nicht erreicht ist. 

Die Menschen in „Tschewenge“ befinden sich zunächst noch im Stadium der produktionsfreien Ära. Sie leben wie Tiere, ohne deren animalische Strukturen gegenseitiger Hilfe wie beispielsweise bei den Ameisen zu kennen. Eine Mutter lässt ihr Baby vergiften, um es nicht dem Hungertod aussetzen zu müssen, mit die stärkste Szene dieses Filmessays. Der Fischer ertränkt sich im See, um den Tod und das Danach zu erforschen. Jahrzehnte später ist die Situation nicht viel anders, wenn sich des Fischers Sohn, Sascha, an seinen Vater erinnert. 

Das klingt interessant, macht neugierig, ist aber nur zu verstehen und zu würdigen, wenn man die literarische Vorlage kennt.

Die Fahrt Saschas  mit der Eisenbahn durch einen nebulosen Tunnel auf der Suche nach der neuen Welt führt mitten in narrativ abgehobene Welten. Als er in Gefangenschaft von  Anarchisten gerät wird er von einem Don Quijote des Kommunismus gerettet, der statt Rosinante Rosa Luxemburg abgöttisch liebt. Zu zweit wandern sie weiter in ausgezehrten und zerstörten Landschaften,

Theaterkritik "Tschewengur" im Maxim-Gorki-Theater Berlin präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

der suchende Fischersohn, wie eine Fusion von Christus und Siegfried und der Ritter aus Idealismus in einer Persiflage zwischen Heldentum und Wildem Westen.

Theaterkritik "Tschewengur" im Maxim-Gorki-Theater Berlin präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Maxim-Gorki-Theater, Chris Kondek

Doch trotz Revolution ähnelt das Danach nur allzu sehr dem Davor. Konzipiert als FCollage aus einzelnen Szenen, durchwirkt von Szenenfotos, teilweise mit stummfilmartig ausgestellter Optik in Schwarz-Weiß und in Farbe, mutiert die „Tschewengur. Die Wanderung mit offenem Herzen“ ganz bewusst zum metaphorischen Kasperltheater fern jeglichen sozialistischen Realismus. Man bekommt Lust das Original zu lesen oder auch nicht. 

Künstlerisches Team: Sebastian Baumgarten (Regie), Chris Kondek (Kamera & Schnitt), Robert Lippok (Komposition & Soundesign), Sebastian Baumgarten, Ludwig Haugk, Clara Probst (Text), Clara Probst, Ludwig Haugk (Dramaturgie), Jeanne Louët, Franziska Müller (Kostüme)

Mit: Jonas Dassler, Aysima Ergü, Tim Freudensprung, Fallow Seck, Çlgem Teke, Hanh Mai Thi Tran, Till Wonka