©Deutsches Theater Berlin, Foto: Smailovic
Die Geschichte vom Deichgrafen Hauke Haien, der einen neuen Deich bauen will, um das Dorf vor den regelmäßigen Sturmfluten zu schützen, und am Widerstand und Aberglauben der Dorfbewohner scheitert, passt in die heutige Klimadebatte. Das erkannten auch Andrea Paluch und Robert Habeck. In ihrem Roman „Hauke Haiens Tod“ (2001) kehrt dessen Tochter Wienke, die nicht wie im Original ertrunken ist, sondern von einem Knecht gerettet in einem Waisenhaus aufwuchs, in das Dorf zurück, um ihre Vergangenheit zu erforschen. Wurde ihr Vater ermordet oder war er ein Held?
Regisseur Jan-Christoph Gockel collagiert beide Texte und entwickelt eine Recherche auf zwei Ebenen, den polizeilichen Ermittlungen inklusive „Tatort“-Erkennungsmelodie und über Live-Videos und Puppenspiel ein Abtauchen in drei Kapiteln „Aufweckung“, „Totentanz“, „Verwesung“ in die mythisch dargestellte Vergangenheit nach dem Motto „Erkenntnis über das eigene Zeitalter bekommt man erst, wenn es zu Ende ist.“
Mittel zum Zweck ist Hauke Haiens Tochter Wienke, mit Zora Schemm und Hieu Pham zweifach als Symbol der jungen Generation besetzt. Sie graben auf ihrer Reise in das Dorf am Meer die Erinnerungen aus und entdecken skurrile Typen, deren Vorliebe für Tiere, die Puppenspieler Michael Pietsch in witzigen Szenen verlebendigt. Auf einem Fahrgestell quert die Dorf-Band mit lauter Perkussion immer wieder die Bühne und ein Großteil der Inszenierung erfolgt über Videos in Castorf-Optik. In den Erzählungen der Dorfbewohner leuchten die Facetten Hauke Hajens auf. Ole Peters beschimpft ihn als Kapitalist, der das wertlose Land hinter dem Deich billig aufkaufte, um es nach dem Deichbau gewinnbringend zu nutzen. Jetzt hat Ole Peters das Land gekauft, aber auch schon wieder verspekuliert. Hauke Hajens Knecht Iven beschreibt ihn als Sklaventreiber. Nie wieder will er Werkzeug sein. Man soll die Toten ruhen lassen, ist der Tenor im Dorf. Aber die beiden Wienkes lassen nicht locker. „Die Toten müssen wieder auferstehen.“ Der Vater lebt, zumindest in Gedanken. Er hat sich nicht umgebracht. „Er lag richtig“, so das Ergebnis dieser Spurensuche, gleichzeitig der neue Slogan der Wienke-Generation. Hauke Hajen war ein Held, auch wenn er mit seinem innovativen Deichbauprojekt scheiterte. Unschwer ist zu erkennen, wer damit gemeint ist.
Es ist eine lautstarke, trashige Inszenierung, die über psychodelische Sound- und Live-Videoberieselung die Geister und Dämonen von einst beschwört und sich durch Abbau der Bühnenkulissen wieder in die Realität katapultiert. Es ist eine Theatersession, die sich aber trotz des klugen Konzepts und Szenenwitzes langatmig über zwei Stunden ohne Pause hinzieht.
©Deutsches Theater Berlin, Foto: Smailovic
Künstlerisches Team: Jan-Christoph Gockel (Regie), Julia Kurzweg (Bühne), Sophie du Vinage (Kostüme), Michael Pietsch (Puppenbau), Anton Berman (Live-Musik), Eike Zuleeg (Live-Video), Robert Grauel (Licht), Christin Scheinpflug, Jan Panniger (Präparatorische Beratung), Bernd Isele, Johann Otten (Dramaturgie)
Mit: Hieu Pham, Zora Schemm, Manuel Harder, Komi Mizrajim Togbonou (Iven), Mareike Beykirch, Sebastian Urbanski, Michael Pietsch, Almut Zilcher, Franziska Kleinert, Moritz Höhne, Anton Berman. Eike Zuleeg