Berlin – Schaubühne – „Der Fremde“ von Albert Camus

Michaela Schabel besuchte für schabel-kultur-blog Camus´"Der Fremde" in der Berliner Schaubühne

Meursault, ein junger Franzose in Algerien erschießt anscheinend ohne Grund einen Araber und wird zum Tode verurteilt.

Regisseur Philipp Preuss, es ist nach Bernhards „Kalkwerk“ seine zweite Inszenierung an der Schaubühne, gelingt eine wieder eine überaus dichte, spannende Inszenierung. Mit Lichteffekten, atmosphärischen Grillengezirpe einer Batterie Mineralwasser für Meer und Blut und drei exzellenten Schauspielern macht er Camus´ existentielle Bedeutungslosigkeit des menschlichen Individuums erlebbar.

Arias Porras, Felix Römer und Iris Becher spielen alternierend nicht zur alle Nebenfiguren, sondern gleichzeitig die Facetten dieses introvertiert versponnenen Protagonisten, so dass sich das soziale Umfeldes trotz Meursaults  Passivität in ihm widerspiegelt und gleichzeitig dessen zunehmende Distanz und Fremdsein zum Geschehen spürbar wird.

Michaela Schabel besuchte für schabel-kultur-blog Camus´"Der Fremde" in der Berliner Schaubühne

©Thomas Aurin

In einem spannungsgeladenen, komplex verschachtelten Spiel von Rückblenden kristallisiert sich Schritt für Schritt heraus, warum Meursault, zum Tode verurteilt, in der Zelle sitzt. In der ritualisierten Monotonie der Tagesabläufe verschmelzen fünf Jahre zu einem Tag. Er erinnert sich an den Tod der Mutter, mit der ihr Dahinvegetieren berührte ihn genauso wenig  die mächtige Orgelmusik beim Begräbnis. Längst hat er den Glauben verloren, Jesus` Kreuzigung, mit großer Gestik ins Bild gerückt, war vergebens.  Dass Meursault  einen Tag nach dem Begräbnis  mit einer Frau in der Sonne am Meer an der Boje, abhängt, wo das Wasser in der Sonne perlt, wird ihm als gefühllos ausgelegt. Es scheint doch ein Tag brillanter von der Hitze des Südens aufgeladener Tag der Erotik gewesen zu sein. Sie will ihn heiraten, Meursault bleibt gelassen, emotionslos. Genauso emotionslos bleibt er seinem Nachbar, einem Zuhälter, eine Exfreundin  zuspielt. Als Meursault später einem ihrer Brüder begegnet, dessen Messer in der Sonne funkelt, erschießt er ihn mit der Waffe des Zuhälters. Er feuert nicht einmal, drückt viermal ab. Der Richter mit Bekenntnis Christ zu sein  plädiert nicht auf Notwehr, sondern auf Mord und Tod durch die Guillotine. Meursault, der Antichrist schlechthin, nimmt das Urteil gelassen hin, in der Erinnerung den einen Tag, an dem er gelebt hat, der ihm das Dasein im Gefängnis ertragen lässt. Letztendlich ist es ihm egal, ob er so oder so gelebt hat. Ihn  interessiert nur noch der Tod, ob der dem unerbittlichen Mechanismus, dass der Herzschlag bis zum Kopf weitergeht, durch den „Aufstieg zum Schafott“ entrinnen kann.

Unter der subtilen Regie von Philipp Preuss finden die Schauspieler immer neue Korrelationen, diese sperrigen Gedanken in rasante, sehr nüchterne, aber auch sehr atmosphärische, zuweilen sogar witzige Spielsequenzen umzusetzen. In Linien- und Dreiecksstrukturen entwickeln sie, fast wie choreographiert, immer neue Innen- und Außenbeziehungen. Meursaults Persönlichkeit bekommt durch Arrias Porras  jugendliches Lassez-faire und weitet sich  durch  Felix Römers altersbedingte Physiognomie und großartige schauspielerische Expression zur „lebenslänglichen Verwandlung“. Nicht minder beeindruckend ist das Spektrum Iris Becher von der lebensfrohe Marie, die sich bei einem Fernandel-Film amüsieren will, bis zur altersschwachen Mutter.

Michaela Schabel