Berlin – „Mein Name sei Gantenbein“ im Berliner Ensemble

Theaterkritik "Mein Name sei Gantenbein" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Berliner Ensemble, Matthias Horn 

Sehr glaubwürdig spielt Matthias Brandt diesen fiktiven Gantenbein, den er aus der 2-dimensionalen Handy-Optik in die 3-dimensionale Bühnenrealität holt, mit allen Klischees versteht sich, etwas weich gezeichnet mit metallisch sanft klingendem Schlagzeugsound.

Unter anderem ein Unfall und eine unglückliche Liebe hatten Max Frisch zu seinem autobiografisch angehauchten Roman inspiriert. Unfallopfer ist auch der Protagonist. Er ist zwar nicht wie prognostiziert blind geworden, aber er tut so, als sei er es und lebt sein Leben mit der Option Dinge ignorieren zu können, die andere sehen und darum darauf reagieren müssen. Dieser Gantenbein probiert „Geschichten an wie Kleider“, so Max Frisch. Jedes Ich wird zur Rolle und „jeder Mensch erfinde sich selbst die Geschichte, die er für sein Leben halte“, womit Max Frisch den heutigen Zeitgeist schon vor knapp 60 Jahren durchdekliniert und Oliver Reeses Entscheidung diesen Text zu dramatisieren nachvollziehbar ist. 

Das passiert nicht ohne Komik, denn welcher Blinde schaut sich schon nach einer Blondine um und hebt seinen Stock selbst auf. „Gleich zwei Schnitzer auf einmal“. Unter der Regie von Oliver Reese arbeitet Matthias Brandt gerade die leicht parodistischen Passagen heraus, zumal Max Frischs freie Assoziationstechnik die ironische Außenperspektive unterstützt, wodurch der Abend unterhaltsam, bisweilen clownesk dahinschwingt. Die wenigen Requisiten, die nötig sind, holt sich Matthias Brandt schwungvoll aus den Schubladen der stylisch glatten Bühnenumrandung und wirft sie effektvoll in den Bühnengraben. 

Dieser anscheinend blinde Protagonist lernt schnell dazu, wechselt abrupt und nahtlos seine Rollen als Gantenbein, Swoboda, Enderlin, fungiert als seriöser Zweitliebhaber im Hintergrund, lässt den Damen freien Lauf und durchschaut doch alles, denn „man kann einen Blinden nicht hinters Licht führen“. Gantenbein phantasiert sich wie in einer literarischen Skizze als Liebhaber einer Prostituierten und einer verheirateten Schauspielerin mit Geliebten. Doch die neuen Beziehungen erweisen sich nicht viel besser als die alten, selbst wenn der Handyrahmen in Doppelfassung pink aufleuchtet. 

Theaterkritik "Mein Name sei Gantenbein" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Berliner Ensemble, Matthias Horn

„Einer flieht, einer bleibt und stellt sich das Gegenteilige vor.“ Schwierig wird es, wenn sich „ein Kuss wie ein Punkt“ zuspitzt, der Körper begierdelos wird oder Eifersucht und Lügen die Phantasie allzu sehr hochpeitschen. 

Doch trotz Max Frischs Fabulierkunst und Matthias Brandts exzellenter schauspielerischer Leistung verflacht der Text in banalen Gedankenspielen. Das passt zwar zur Regieperspektive des Selfie-Narzissmus, wirkt aber dramatisiert viel banaler als beim Lesen, langweilt mehr, als dass es bewegt. Die Standing Ovations auch nach der Premiere gelten wohl in erster Linie Matthias Brandt, der für sein überzeugendes Bühnen-Comeback zurecht gefeiert wird.

Künstlerisches Team: Oliver Reese (Texbearbeitung, Regie), Hansjörg  Hartung (Bühne), Elina Schnitzler (Kostüme), Jörg Gollasch (Musik), Steffen Heinke (Licht), Johannes Nölting (Dramaturgie)

Auf der Bühne: Matthias Brandt