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Berlin – Ibsens „Die Wildente“- in der Schaubühne 

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Berlin – Ibsens „Die Wildente“- in der Schaubühne 

© Gianmarco Bresadola, 2025 

Ibsen selbst sah „Die Wildente“ (1884) als rein familiäres Stück über die Wirkung von Wahrheit und Lüge. Thomas Ostermeier weitet das Stück…

auf die brachiale Auseinandersetzung von Reich und Arm. Aufgeführt bereits beim diesjährigen Festival d’Avignon ist die Inszenierung jetzt in der Berliner Schaubühne zu sehen. Bühnenfassung folgt dramaturgisch dem Original. Sprachlich verdichtet, explosiv gespielt, mit Metal-Sound befeuert und ästhetisch zwischen herrschaftlichem Altbau und trashigem Underdog-Milieu auf der Drehbühne verortet, holt Ostermeier Ibsens Klassiker in die Gegenwart.  

Vor 13 Jahren begeisterte Ostermeier mit einer Neuinterpretation von Ibsens „Volksfeind“, indem er zielgerichtet auf die politische Situation verwies und zeigte, wie schwierig es ist, die Lüge ans Tageslicht zu bringen, und wie wichtig Aufklärung. Umgekehrt hinterfragt er in der „Wildente“ die gesellschaftliche Bedeutung der Lüge, die Assoziationen zur „woken“ Gesellschaft zulässt, die penetrant alle Wahrheiten beleuchten will. Mehr Freiheit und Unabhängigkeit oder Chaos und Depression? Das sind die Pole dieser spannenden Inszenierung, die allerdings in der besuchten, zweiten Vorstellung vom Publikum weniger als sonst bejubelt wurde. Zu nachdenklich hinterlässt Ostermeier das Publikum.

Nach Jahren der Abwesenheit folgt Gregers der Einladung des Vaters zur Bekanntgabe seiner bevorstehenden Hochzeit mit seiner Haushälterin und nutzt die Gelegenheit seinen Jugendfreund Hjalmar mitzunehmen. Dieser ist Fotograf, mit der ehemaligen Haushälterin Werles verheiratet und Vater einer 17-jährigen Tochter. Werles hat die Hochzeit und das Fotostudio finanziert und zahlt Ekdal, Hjalmars Vater, einem ehemaligen Mitarbeiter Werles, eine monatliche Zuwendung. Gregers ist alarmiert, denn Ekdal wurde von Werle wegen Betrugs, in dem er selbst verwickelt war, angezeigt, verurteilt und inhaftiert, wobei Ekdal sein Vermögen und seine Ehre verlor. Außerdem war Hjalmars Frau einst die Geliebte Werles. Die Frauengeschichten Werles trieben seine Ehefrau in den Alkoholismus und in den Tod. Für Gregers ist die Stunde der Wahrheit gekommen, womit sein Leben einen Sinn bekommt. Er bricht mit dem Vater und offenbart Hjalmar und seiner Familie die wahren Hintergründe der finanziellen Unterstützungen. Gut einen Kopf größer als alle anderen Schauspieler agiert Marcel Kohler als Gregers ganz bewusst ohne jegliche Empathie wie die Personalisierung inquisitionaler Gerechtigkeit, die statt Hoffnung auf ein befreites, selbstbestimmtes Leben nur Pein und Hoffnungslosigkeit auslöst. Der lebenserfahrene Arzt bringt es auf den Punkt.„Wenn man dem Durchschnittsmenschen die Lüge nimmt, dann zerstörst du sein Leben.“ Die Menschen sind zu schwach für die Wahrheit.

Doch Gregers lässt sich nicht beirren. Ideologisch verblendet schlägt er mit Wahrheiten um sich, die keiner hören will. Stefan Stern interpretiert Hjalmar als hippeligen Loser, der seine Antriebslosigkeit und Faulheit hinter dem Image eines Möchte-gern-Erfinders versteckt, um das Renommee der Familienehre wiederherzustellen. Dessen Talentlosigkeit sorgt bei einem Karaoke-Metal-Song für erbarmungswürdige Satire. Konfrontiert mit der Wahrheit, nicht der Vater der Tochter zu sein, flippt er ganz aus, will alles hinter sich lassen und bleibt dann doch lieber im Hafen der gewohnten Verhältnisse. 

Marie Burchard als seine pragmatische Ehefrau, Rückgrat der Familie, behält die Nerven. Nur die Tochter, die Journalistin werden will, bietet Widerstand. Das Autorenteam Ostermeier, Zade weitet ihre Rolle thematisch aus, indem sie für die Wahrhaftigkeit der Presse kämpft, mit Schwerpunkt Prekarität und Feminismus. Durch Gergers übergriffige Fragen wird sie zudem mit Fragen über Wahrhaftigkeit in menschlichen Beziehungen konfrontiert. Magdalena Lermer präsentiert eine selbstbewusste junge Frau, die Stellung bezieht, sich nicht einschüchtern lässt. Doch bedrängt von Gergers Wahrheitswahn erschießt sie nicht die verletzte, flugunfähige Wildente, Symbol der Illusionen und Abhängigkeiten, sondern sich selbst. Das Plädoyer für die Wahrheit implodiert im psychischen Knock-out aller Beteiligten. Glück durch Wahrheit entpuppt sich als Illusion. Dagegen scheint Gergers betrügerischer und egozentrischer Vater mit seiner Haushälterin das große Los gezogen zu haben. 

Der Ausblick ist trist und unverändert. Die Kreisbühne dreht sich weiter zwischen Reich und Arm, dazwischen vertrocknete Bäume und Ekdal, der völlig losgelöst von der Wirklichkeit auf seine Plüschtiere schießt. Illusionen ohne Ende. „Die Wildente“ ist ein tiefgründiger Theaterabend. 

Künstlerisches Team: Thomas Ostermeier (Neufassung, Regie), Maja Zade (Neufassung, Dramaturgie), Magda Willi (Bühne), Vanessa Sampaio Bergmann (Kostüme), Sylvain Jacques (Musik)

Mit: Thomas Bading, Marie Burchard, Stephanie Eidt, Marcel Kohler, Magdalena Lermer, Falk Rockstroh, David Ruland, Stefan Stern.