David Ruland, Moritz Gottwald, Renato Schuch, Laurenz Laufenberg, Genija Rykova und Robert Beyer in „Michael Kohlhaas“ ©Gianmarco Bresadola
Dem Pferdehändler Michael Kohlhaas wird gegen das geltende Recht ein Passierschein an der Wegschranke einer Ritterburg abgefordert. Er lässt zwei Pferde und einen Knecht als Pfand zurück und findet sie halb verhungert und malträtiert nach seiner Rückkehr auf. Er fordert Gerechtigkeit beim Kurfürsten, doch sein Schreiben wird von dessen Kanzler, einem Freund des Burgherrn, abgefangen. Als Kohlhaas´ Frau ein zweites Bittschreiben überbringt, wird sie getötet. Jetzt greift Kohlhaas zur Selbsthilfe, wird Anführer eines Mobs, brandschatzt und mordet so lange, bis der Staat endlich zuhört. Die Situation eskaliert. Kohlhaas Forderungen nach Schadensersatz wird stattgegeben. Als Sühne für seine Verbrechen erfolgt seine Hinrichtung. Einen krassen Fall der Dysbalance zwischen Recht und Gerechtigkeit stellt Heinrich von Kleist hier zur Diskussion.
Mit der Fokussierung auf den mehrmals wiederholten Leitgedanken „Ich soll tun, was der Staat von mir verlangt, aber nicht untersuchen, ob das, was er verlangt, sinnvoll ist“ wird die Geschichte des Pferdehändlers, der vom Recht um die Gerechtigkeit geprellt wird, hochbrisant.
Fünf Schauspieler und eine Schauspielern entwickeln zunächst aufgereiht vor Mikrophonen und Lesepulten eine anfänglich fast schulmeisterlich dozierende Erzählsituation. Doch schnell verwandelt sich das Geschehen zwischen Bühne und Live-Projektionen in ein dramaturgisches Feuerwerk, das im Einzelschicksal das Potential zur Massenrebellion entdeckt, in dem individuell erlebte Ungerechtigkeit in gesellschaftliche Bedrohung mutiert, trotzdem den Mob hinter sich versammeln kann und in den Intrigen von einst verblüffende Parallelen zur heutigen Politlage eröffnet.
©Gianmarco Bresadola
Mit akustischen Geräuscheffekten von Hörspiel und Thriller, der Wucht von Flamenco-Zapateados und Kirchenchören gewinnt die Inszenierung trotz extremer Reduzierung eine rasante haptische Dynamik, durch überraschende Perspektivwechsel, im Spannungswechsel von Minimalisierung, Zoom und schauspielerischer Verfremdung beispielsweise bei den ausgemergelten Pferden, nicht zuletzt durch cinematische Massenszenen oszilliert dieser Michael Kohlhaas ständig zwischen ironischer Distanzierung, filmischer Emotionalisierung und brutalen Folterrealitäten, wodurch sich Assoziationen zu heutigen Flüchtlingsschicksalen aufbauen. Erstklassig vom Ensemble rhythmisch artikuliert und expressiv gespielt ist diese Inszenierung ein Highlight im Sommerspielplan der Schaubühne.
Künstlerisches Team: Simon McBurney und Annabel Arden (Regie, Text), Magda Willi (Bühne), Moritz Junge (Kostüme), Benjamin Grant (Sounddesign), Luke Halls (Video), Maja Zade (Dramaturgie), Erich Schneider (Licht).
Mit: Robert Beyer, Moritz Gottwald, Laurenz Laufenberg, David Ruland, Genija Rykova, Renato Schuch