©Mayra Wallraff
Ein Theaterfestival, das zehn „bemerkenswertesten“ Inszenierungen im deutschsprachigem Raum präsentieren will, kommt um Florentina Holzingers „Santa“ nicht herum. Die Wiener Choreografin, Regisseurin und Performerin sorgt mit jeder ihrer Aufführungen für Gesprächsstoff. Durch weibliche Nacktheit überspitzt sie…
anstehende gesellschaftliche Probleme. Nicht die vielbesprochene und mehrmals ausgezeichneten Casting-Show „Orphelias Got Talent“ im Januar 2024, sondern ihre erste Operninszenierung im Mai 2024 am Mecklenburgischen Staatstheater in Schwerin wurde nach Berlin eingeladen und in der Volksbühne entsprechend bejubelt.
Hindeminths sexuelle Erweckungsoper „Santa Susanna“ dauert nur eine halbe Stunde. Die Nonne Susanna kann ihre Sexualität nicht in platonischer Liebe zu Gott sublimieren. Sie handelt wie einst Beata, die nackt das Kruzifix umarmte und küsste, woraufhin die Lenden des Jesus verhüllt und Beata lebendig eingemauert wurde. Das Recht fordert auch Susanna.
Wie ein Epilog wirkt die Oper, die sich schlagartig entlang der Struktur eines katholischen Gottesdienstes zum typischen 2-stündig Holzinger-Kosmos weitet, in dem acht nackte Frauen, am Schluss sind es rund drei Dutzend, religiöse Symbole, Messe und die Passionsgeschichte Jesu in allen nur erdenklichen Facetten in ihrer frauenfeindlichen Haltung konterkarieren. Nackt schwingen sie akrobatisch in der Luft, bringen als Klöppel die Glocke und Metallbleche zum Klingen. Unermüdlich skaten sie in einer Halfpipe, Sinnbild ihres eingeengten Lebenskreises. Sie klettern eine riesige Boulderwand hinauf und hinunter, malträtieren, durch Live-Videos ekelerregend nah beobachtbar, ihre Haut durch Tätowierungen. Blut und ein Stück Fleisch werden dem Körper entnommen, um die Symbolik der Heiligen Kommunion zu hinterfragen. Wenigstens bleiben die Rippe aus Adams Körper, für die Erschaffung Evas und die kollektive Selbstbefriedigung mittels gigantischer Penisse Attrappen.
Eine kleinwüchsige Frau kann ihr Glück gar nicht fassen, die erste Päpstin zu sein, und gibt die Sixtinische Kapelle mit Michelangelos berühmtem Gemälde von der „Erschaffung Abrahams“ zum Abriss frei. Eine neue Kirche soll aufgebaut werden. Aber immer noch gilt das Faktum, dass die Frau für den Mann geschaffen wurde.
Jesus, zugekifft, alkoholisiert, alternierend zwischen Englisch und alpenländischem Dialekt chargierend, macht aus seiner Passion eine Obsession, wobei die Performance Richtung „Jesus Christ“-Musical und schließlich zur großen Techno-Party transformiert, wobei auch die Nonnen partiell die Hüllen fallen lassen, das Kreuz auf den Kopf steht und partiell durch eine Feuerschluckerin verschwindet. Vor der großen Sause muss noch gebeichtet werden, wobei das Publikum aktiv mitmachen darf und zwei simple Beiträge auch dieses Sakrament der Lächerlichkeit preisgeben. Im „Agnus Dei“ erschallt der Ruf „Gib uns Frieden, Herr!“ Doch Jesus selbst erschlägt das Lamm. Es ist nur ein Tier.
Das ist zweifellos großartig und mutig konzipiert und inszeniert. Bewusst übersättigt von Sex, Orgasmus, Nacktheit in allen Figurvarianten, verschiedensten Musikstilen, Chorpassagen, Soul, Songs degradiert „Santa“ zum Theaterspektakel einer degenerierten Partygesellschaft. Der letzte Song „Don´t dream it, be it“, bei dem das Publikum geschickt eingebunden und für den Schlussapplaus aufgeheizt wird, zeigt einmal mehr die manipulative Kraft der Bühne. Das macht nachdenklich in jeglicher Beziehung, insbesondere bezüglich des genusssüchtigen Individualismus und eines Theaterhypes, der schon nach zwei Inszenierungen starke Wiederholungsstrukturen erkennen lässt.
Dass gleichzeitig der neue Papst Leo XIV gewählt wurde und sein erstes Worte im neuen Amt „Peace“ als Losung für seine Amtszeit honoriert wurde, lässt hoffen.
Künstlerisches Team: Florentina Holzinger (Regie, Choreografie, Performance), Marit Strindlund (Leitung), Johanna Doderer (Komposition, Arrangement), Born in Flamez (Komposition, Supervision. Bühnenmusik), Stefan Schneider (Komposition und Sound Design), Nadine Neven Raihani (Komponistin, Produzentin), Gibrana Cervantes, Josephinex Ashley Hansis, Karl-Johan Ankarblom, Odette T. Waller, otay:onii (Komposition, Arrangement), Blathin Eckhardt, Gibrana Cervantes, otay:onii, Paige A. Flash, Born in Flamez (Bühnenmusik), Nikola Knežević (Bühne, Kostüm), Aki Schmitt (Chor), Felix Ritter (Dramaturgie)
Mit: Andrea Baker, Annina Machaz, Blathin Eckhardt, Born in Flamez, Cornelia Zink, Emma Rothmann, Evilyn Frantic, Fibi Eyewalker, Florentina Holzinger, Gibrana Cervantes, Jasko Fide, Fleshpiece, Luz De Luna Duran, Malin Nilsson, Netti Nüganen, otay:onii, Paige A. Flash, Renée Copraij, Saioa Alvarez Ruiz, Sara Lancerio, Sophie Duncan, Veronica Thompson, Xana Novais