Berlin – Bertolt Brechts „Baal“ am Berliner Ensemble

Theaterkritik "Baal" im Berliner Ensemble präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Berliner Ensemble, Birgit Hupfeld

Brechts expressives Erstlingswerk für die Bühne erschöpft sich in immer neuen exzessiven Szenen der Begierde, die Mondtag exaltiert bis zum Anschlag vergrößert, ein Besäufnis folgt dem anderen, befördert Lust, im Übermaß die Unlust. Baal ist immer hungrig, wird nie satt, auch wenn er erschöpft auf dem Zebra liegt, in dem sich die Ambivalenz seiner Persönlichkeit spiegelt, die lasterhafte Erscheinung als Folge verborgenen Leids durch Diskriminierung. Was Baal anfasst, geht kaputt. Wie ein Tier reißt er seine Opfer und lässt sie liegen. Stefanie Reinsperger als Baal schreit seinen Unmut hinaus in die Welt, fetzt und tobt, torkelt, fällt und steht eins ums andere Mal wieder auf bis zum Knockout und verfremdet diesen Baal in Phasen höchster Gemeinheiten durch die mundartlichen Nuancen eines österreichischen Strizzi. „Gemma, gemma!“, fort, weg mit dem Genossenen. Neuer Kitzel muss her. In seiner Dekadenz wird dieser Baal zum Symbol des Ausbeutertums, wenn auch auf der untersten Ebene.

Das Völlegefühl von allem zu viel breitet sich über die Inszenierung aus, hervorragend gespielt, aber in um sich kreisenden Wiederholungsstrukturen ohne irgendwelche neuen Erkenntnisse, was auch für die weibliche Besetzung von Baal gilt. Die Problematik ist natürlich geschlechtsneutral. 

Faszinierend allein sind Mondtags surreal atmosphärische Bühnenräume und seine originellen Kostüme, die Körper zwischen extremer Plastizität und zweidimensionaler Verflachung oszillieren lassen. Baals Welt entpuppt sich als Karussell im Takt einer Spielzeugmelodie zwischen Glitzerbar mit Varietébühne, nächtlicher Straßenflucht und sakralem Raum mit überdimensionierter Barbiepuppe inklusive Hörnern und Penis als Sinnbild einer angebeteten bisexuellen Lustteufelin. Baals Umfeld degradiert zur marionettenhaften Staffage wie ein Perpetuum Mobile in seelenlos sich wiederholenden Tanzbewegungen. Dazu passen hervorragend Baals Balladen, von Eva Jantschitsch in Weillscher Manier transformiert.

Theaterkritik "Baal" im Berliner Ensemble präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Berliner Ensemble, Birgit Hupfeld

Das ist alles ganz kunstvoll und stilsicher konzipiert und inszeniert, doch die groteske Überdimensionierung beginnt abgesehen von den optischen Effekten schnell zu langweilen und gerade darin spiegelt Ersan Mondtag großartig unseren Zeitgeist. Viel Oberflächenoptik und narzisstisches Spektakel, wenig menschliche Tiefe.

Künstlerisches Team: Ersan Mondtag (Regie, Bühne, Kostüme), Marcel Teske (Mitarbeit Bühne), Annika Lu Hermann (Kostüme), Eva Jantschitsch (Musik), Clara Topic-Matutin (Künstlerische Beratung), Ulrich Eh (Licht), Jonas Grundner-Culemann (Chor), Max Doehlemann (Korrepetition)

Mit: Stefanie Reinsperger, Judith Engel, Kate Strong, Veit Schubert, Anna Sophie Schindler, Paul Zichner, Peter Luppa, Owen Peter Read, Emma Lotta Wegner, Torben Appel, Yanina Cerón, Jonas Grundner-Kulemann, Johannes Meier.