©Berliner Ensemble, Julian Röder
Die Drehbühne mit elf Sitzgelegenheiten für Begegnungen genügt als Ort der sozialen Verortung. Genau die fehlt den Menschen, um die es geht, den Obdachlosen. Aus unterschiedlichsten Perspektiven werden über rund ein Dutzend Gespräche an verschiedenen Straßen und Plätzen Berlins die Fallhöhen von Einzelschicksalen und das sozial-hygienische Elend überdeutlich. Es ist ein buntes Kaleidoskop von abgestürzten Männern und Frauen, mit unterschiedlichem Bildungshintergrund, Migranten und Sozialhilfeempfängern. Am schlimmsten trifft es die Kinder, die in ein gewalttätige, asoziales Milieu hineingeboren werden und dadurch nur allzu schnell auf der Straße landen. Aber es gibt auch den Obdachlosen, dem man es nicht ansieht. Ordentlich gekleidet, findet er Jobs und schläft heimlich in Kellern von Freunden. Durch eine Alu- und Isomatte schützt er sich im Schlafsack vor der Bodenkälte.
©Berliner Ensemble, Julian Röder
Auf der Straße tobt der Kampf um verpisste Matrazen, und wenn es kalt wird, reicht bei manchen die Kacke teilweise bis zum Hals, um zu wärmen. Ganz zu schweigen vom ätzenden Geruch verwesen die Menschen bei lebendigem Leibe. Es dauert oft Tage, bis dieser Panzer in der Hygienestation am Bahnhof Zoo aufgefräst ist. Schuhgröße 47 reduziert sich auf 41, wenn nach Jahren wieder einmal die Fußnägel geschnitten werden. So sieht die Realität in der Berliner Hygienestation aus.
Entlang dieser drastischen Fakten baut Regisseurin Karen Breece die Interviews auf und weitet das Thema auch auf Menschen, die als Sozialhilfeempfänger ganz auf Sparflamme leben und ohne die „Tafel“ hungern müssten. 40 – 50000 Obdachlose „riechen nach Armut“, „leben wie Ratten“ werden nicht gesehen, ignoriert, beschimpft und ausgegrenzt. Sie bekommen keine Arbeit, sind unter- oder überqualifiziert und finden keinen Anfang. „Wo ein Wille ist, ist oft kein Weg.“
Dieses Desaster offeriert sich in empathischen Gesprächen, entlädt sich im Tempo der Drehbühne, in schrill-grellen Lichteffekten, lauter Musik, einer coolen Modenschau mit aufgepeppten Penner-Basics und verzweifelten Monologen.
©Berliner Ensemble, Julian Röder
Immer wieder schreit es Bettina Hoppe gewaltig hinaus, was alles falsch läuft. Psy Chris darf den Obdachlosen spielen, der die Kurve ins Bürgerliche schafft.
©Berliner Ensemble, Julian Röder
René Wallner verkörpert all die, die sich auch ohne Wohnung als Flaschensammler ordentlich durch das Leben schlagen. Alexandra Zipperer macht die Not der Sozialhilfeempfänger in konkreten Abrechnungen deutlich. Nico Holonics ist als Interviewer überall mit dabei und wechselt zwischendurch die Seite.
Es funkt nicht dieses Karussell der Underdogs, wie Bettina Hoppe frustriert konstatiert. Natürlich funkt dieses schwere Thema nicht, auf das unsere Sozialgesetzlichkeit keine Antworten parat hat außer der Umbenennung in ein Bürgergeld. Erst mit dem Song des integrativen Chors „Different Voices of Berlin“, acht Menschen, die diese Not tagtäglich erleben, leuchtet die Botschaft auf. „Wenn du wegschaust, siehst du nichts“. Das wäre der richtige Schlussakzent mit Blick nach vorn, der durch den Nachspann per Video wieder in die Realität zurückgeführt wird, um Experten selbst die Gelegenheit zu geben sich zu äußern.
Dass am Theaterausgang für die Obdachlosen gespendet werden kann, im Flyer zur Inszenierung alle wichtigen Kontaktadressen zu den Ansprechpartnern der Berliner Obdachlosenhilfe aufgeführt werden, zeigt den Weg, wie Theater tatsächlich gesellschaftlich wirksam werden kann.
Karen Breece, eine US-amerikanische Theaterregisseurin, lebt in Deutschland. Sie erarbeitet gesellschaftskritische Stücke auf der Basis eigenständiger dokumentarischer und journalistischer Recherchen, wobei sie Experten aus der praktischen Arbeit im Alltag und Betroffene in ihre Inszenierungen einbindet und damit Theater zum Ort für Diskussion und aktive Hilfe öffnet.
Künstlerisches Team: Karen Breece (Regie), Eva Veronica Born (Bühne), Claudia Irro (Kostüme), Beni Brachtel (Musik), Sean Hart (Video), Steffen Heinke (Licht), Clara Topic-Matutin (Künstlerische Beratung)
Auf der Bühne: Psy Chris, Nico Holonics, Bettina Hoppe, René Wallner, Alexandra Zipperer und der integrative Chor „Different Voices of Berlin“