© Christophe Raynaud de Lage, Festival d’Avignon
Die belgische Regisseurin präsentiert mit ihrer Kompanie „Das Fräulein“ das alte Narrativ vom friedlichen Königreich, das sich durch einen privaten Streit entzweit. Wieso, warum enthüllt ein Filmteam, dass nicht nur das Geschehen in den Innenräumen, sondern in ständigen Close-Ups auch die Gedanken der Menschen beleuchtet.
Immer fragwürdiger wird das Narrativ des Großvaters, das ständig wiederholt die alten Strukturen des Streites über drei Generationen hinweg zementiert.
Der Großvater wanderte aus Europa aus, um für seine Familie ein friedliches Königreich mitten in der Natur zu gründen. Doch er konnte seine Familie nicht ausreichend beschützen. Schon im ersten Winter wurde seine Frau sehr krank. Sie stirbt, nachdem ihre Zwillingsschwester aus Europa gekommen war. Diese blieb, um dem Witwer und seinen Kindern zu helfen. Als ihre eigene Familie nachkam, entstanden infolge eines unglücklichen Spiels der Kinder Hass und Gegenhass bis zur radikalen Trennung. Seitdem trennt ein Holzzaun die beiden Familien. Wenn etwas passiert, der Onkel nicht mehr heim kommt, der Hund vergiftet wird, immer sind die anderen schuld. Als Gute-Nacht-Geschichte verfestigt sich das Narrativ bis in die dritte Generation und gipfelt in sektenhaftem Kult beim atmosphärischen Feuerbegräbnis des Hundes.
© Christophe Raynaud de Lage, Festival d’Avignon
Nur die älteren Kinder des verschollenen Onkels hinterfragen die Ereignisse. Es sind nicht die bösen Verwandten. Es ist die neue Zeit, die auch vor den sibirischen Wäldern nicht Halt macht, die die Wilderer per Hubschrauber zum Jagen bringt und die Nachbarsfamilie dazu verleitet, das Geldverdienen in den Vordergrund zu rücken, wobei sich Freiheit schnell in Abhängigkeit verwandelt.
Nicht die Erwachsenen die Kinder aus beiden Familien vertreiben die Wilderer durch einen Feuerring, aus dem sie allerdings die Strickleiter eines Hubschraubers rettet.
Das macht konzeptionell schon alles Sinn, bekommt vor allem durch das atmosphärische Bühnenbild inklusive Birkenwald und Bach, vor allem durch die Live-Perkussion eine naturalistische Dynamik zwischen der harten Arbeit des Baumfällens und den ausgelassenen Spielen der Kinder. Was nervt, ist, dass man, nicht zuletzt durch die Blickrichtung auf die Untertitel im Screen mehr dem Live-Video als dem Bühnengeschehen folgt, man sich mehr wie im Kino als im Theater fühlt.