Berlin – „Amok“ – Ein-Frau-Stück mit Cordelia Wege nach einer Novelle Stefan Zweigs im Berliner Ensemble

BERLINER ENSEMBLE: "Amok"nach Stefan Zweig von/mit Cordelia Wege

©Berliner Ensemble, Matthias Horn

1938 verließ Stefan Zweig, jüdischer Kosmopolit aus gutem Hause, das nationalsozialistische Österreich. Vier Jahre später nahm er sich in Brasilien, wo er keine neue Heimat finden konnte, das Leben. Menschen, die wegen kleinster Gefühlserregungen ihr Leben ändern, interessierten ihn. Er ergriff keine Partei für seine Helden, beobachtete aus der Distanz die Tragik dieser Menschen.

Cordelia Weges dramatisierter Text folgt diesem Prinzip. Sie spricht als Frau eines Großindustriellen, die die Schwangerschaft einer Liebe in Absenz ihres Gatten ungeschehen machen lassen will. Sie spricht als Arzt, der ihr nur helfen will, wenn sie sich hingibt. Cordelia Wege erzählt, dialogisiert, monologisiert, wiederholt Wörter, Sätze in eruptiver Expression, krümmt sich in den Seilen wie ein Embryo zusammen, während Samuel Wiese mit hämmernder Live-Musik ihren rasenden Herzschlag hörbar macht, die subtilen Passagen durch Gesang poetisch verdichtet und am Mischpult sphärisch weitet. 

BERLINER ENSEMBLE: "Amok"nach Stefan Zweig von/mit Cordelia Wege

©Berliner Ensemble, Matthias Horn

Wie Leonardo da Vincis vitruvianischer Mensch hängt Cordelia Wege aufgespannt im Foltergerüst, ein Symbol ihres gesellschaftlich engen Rahmens, dem sie nicht entrinnen kann und der ihr die Luft zum Leben abschnürt. Im Dunkeln leuchtet ihr Körper wie ein Gestirn am Himmel, funkelnd, doch fixiert, wie eine Supernova dem Verglühen ausgesetzt. 

Stefan  Zweigs Text, aus heutiger Sicht durchaus etwas antiquiert, gewinnt durch Cordelia Weges Inszenierung eine ungewöhnliche Kraft. Diese Frau ist immer noch Opfer einer Gesellschaft von Männern und deren Wertmaßstäben. Sie „will die Ursachen ihrer Herzenszustände beseitigen“ und demonstriert damit ihre Abhängigkeit von einem sozialen Status, den sie verliert, wenn sie gegen dessen Regeln verstößt. Der Mann ist nicht recht viel mehr als das Opfer seiner Sexualität, die er nicht steuern kann. Hier treffen zwei Menschen aufeinander, die das Miteinandersprechen verlernt haben, die das Lachen der anderen nicht mehr ertragen können, weil die eigenen Verletzungen zu groß sind und sie sich in ihrem einen Käfig isoliert haben.

Atemlos öffnet Cordelia Wege die Wundstellen dieser beiden Figuren, deren egozentrische Arroganz keine Nähe zulässt, auf beiden Seiten das tötet, was eigentlich der Weg zur Liebe ist, über die Hingabe zum Mitmenschen neue Leben zu gebären. „Das einzige, was einem bleibt, ist zu krepieren, wie man will.“ 

„Mirko du musst mir helfen“, zwei-, dreimal bittet Cordelia Wege den Bühnenmitarbeiter die Treppe für eine kurze Erholungspause hinzustellen, durchbricht damit das Bühnenspiel durch das Leben und gibt der Bitte die Würde und die Kraft zurück Leben zu verändern. Das Gerüst seitlich gekippt, Cordula Wege 8-fach gesichert in skurril akrobatischer Haltung scheint der Exitus nicht mehr weit, werden die physischen und psychischen Qualen visuell noch deutlicher spürbar.

Theaterkritik "Amok" präsentiert von www.schabel-kulttur-blog.de

©Berliner Ensemble, Matthias Horn

Man reicht ihr, wie einst Jesus am Passionsweg, Wasser. Noch einmal wird sie nach oben gezogen, ihre Augen funkeln wie Sterne in sphärischer Ruhe. „Alles eins“ kann sie endlich „nach Hause“ gehen und findet Erlösung.

Wieder mit festem Boden unter den Füßen tanzt Cordelia Wege strahlend erlöst zu klassischer Musik. Ein brillanter Theaterabend von der ersten bis zur letzten Minute.