Mit „Herrumbe“ choreographierte Nach Duato unter dem Eindruck des Madrider Terrorakts und den Folterbildern aus dem US-amerikanischen Gefangenenlager Guantanamo bereits 2004. Zusammen mit Jaffar Chalabi (Bühne) und Serjio Caballero (Musik), seinem bewährten Team, präsentiert Nacho Duato mit dem Ensemble des Berliner Staatsballetts nach „Vielfalt. Formen von Stille und Leere“ und „White Darkness“ einen weiteren Meilenstein seiner außerordentlichen Kreativität. Die deutsche Erstaufführung „Herrumbes“ im Berliner Staatsballett beweist, dass die Choreographie, keinerlei Rost, so die deutsche Übersetzung angesetzt hat und, aktueller denn je, nichts von ihrer Wucht verloren hat.
Von der ersten Sekunde an wird die Bühne zum Ort von Terror und Gewalt. Vergewaltigungen, Folter, Erschießungen verbreiten Schrecken. Ein zartes Pas des deux in Lila leuchtet kurz auf, verschwindet, denn Terror greift um sich, zieht immer größere Kreise, kulminiert in Kampfphalanxen.
©Fernando Marcos
Menschen greifen an, andere suchen Schutz. In immer neuen Konstellationen versuchen Paare der Gewalt zu widerstehen. Völlig gleichwertig sind Mann und Frau, Frau und Frau, Mann und Mann angesichts des Terrors. Wunderbar beschützende Drehungen und Berührungen vermitteln trotz allen Schreckens die poetische Körpersprache, die Nacho Duatos Choreographien so innig erscheinen lassen. Mit langem Arm holt der Tänzer den Kopf der Frau an seine Brust und sie dreht sich um ihn mit hohem Bein mit ihm aus der Schussrichtung. Gebückt vor Angst, erfolgen Berührungen nur noch ab der Hüfte, knicken Körper ein, klappen zusammen, bäumen sich im Todeskampf noch einmal auf, bevor sie endgültig zusammenfallen.
Peitschenknallen, Schläge und scharrendes Zischen geben den Rhythmus vor. Im Lichtkegel erfolgt Folterszenario zu dritt.
©Fernando Marcos
Andere hängen ausgemergelt an der Wand wie aufgehängt, stürzen wie abgeschnitten zu Boden.Zu den linearen Tonsequenzen robbt die Miliz im grellen Sucherlicht auf dem Boden vor.
Ein Mädchen im roten Kleidchen tanzt noch unbeschwert. Doch die hilflos kraftlosen Arme signalisieren die nahende Gewalt. So sehr sie auch um ihre Unschuld rennt. Es ist umsonst. Klassische Musik weicht tiefen herben Tonalität der Macht und des Terrors. Das Mädchen wird verfolgt, gejagt, vergewaltigt, von zwei Männern wie ein Stück Fleisch hin- und hergeworfen. Viel zu weit weg ist noch der Rettungshubschrauber. Im Schusshagel gehen zappelnde Körper zu Boden. Apokalyptisch knarrt das Riesengetriebe des Terrors ohne irgendeinen Funken von Hoffnung. Die Wand neigt sich zum Grabmal. Immer mehr Totenlichter beleuchten das Ausmaß des Schreckens „Herrumbe“ kann überall stattfinden.
Michaela Schabel