Berlin – Staatsballett „Doda/Goecke/Duato

schabel-kultur-blog mit Berliner Staatsballett Dodo Goercke Duato

Sie lieben das Ungewöhnliche, Überraschende,  sind Meister im tänzerischen Detail und der tänzerischen Atmosphäre. Die neue Premiere „Doda/Goecke/Duato“ im Berliner Staatsballett zeigt herausragende Tanzstücke dieser außergewöhnlicher Choreographen, deren Leistungen international durch Preise gewürdigt wurde. 

„Was bleibt?“ fragt Gentian Doda in seiner neuesten Choreographie, die an diesem Ballett uraufgeführt wurde. Gentian sucht mit seinen Tänzern nach der Essenz des Lebens. Die Antwort präsentiert er als spannendes Wechselspiel zwischen individueller Entfaltung und Geborgenheit in der Gemeinschaft, im Rhythmus von Joaquin Segades´  dynamischen Komposition zwischen Beschleunigung und Ruhe, eingebettet in Yoko  Seyamas  originelle Bühnengestaltung. 

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©Fernando Marcos

Gummibänder, Symbole für die Regeln einer Gesellschaft, segmentieren den Raum. Acht Tänzerinnen und Tänzer dazwischen weiten sie, verlassen kriechend den Schutzraum, treten in tänzerischer Dynamik immer wieder miteinander in Beziehung, suchen körperliche Nähe und werden achtlos weggeschleudert, bilden große, kleine Gruppen, finden Halt in wogendem Miteinander, trotz Schräglagen gemeinsame Bewegungsmuster mit derart großer Energie, dass Ausscherende wieder zurückgepolt werden in die Lichtkegel der Gemeinschaft. In der sich wiederholenden Kreisstruktur verliert der Einzelne letztendlich doch die Gruppenhaftung. Jeder für sich zerschellt allein an der eigenen Einsamkeit.

In Marco Goeckes Choreographie „Pierrot Lunaire“ steigern sich Expression und Tanzdynamik in ein bizarres, artifizielles Traumspiel. Der Titel stammt von Arnold Schönbergs atonaler Komposition, in der er die Geschichte des mondsüchtigen Clowns nach dem  Gedichtzyklus von Albert Giraud vertont. Wegen der schlechten akustischen Übertragung bleibt allerdings der poetisch literarische  Bezug zwischen Liebe, gewalttätigem Alptraum und Rückkehr in die Heimat als Anspielung auf Jugendstil, Décadence und Symbolismus des Fin de siècle mehr als vage. Faszinierend ist nichtsdestoweniger Marco Goeckes Tanzsprache. 

Mit Breakdance-Elementen und  Port de Bras in Hochgeschwindigkeitstempo flattern die Tänzer mit nackten Oberkörper, durch dunklen Hosen, abgenabelt vom Boden,  wie Vögel, verwandeln sich in fremdgesteuerte Zappelphilipp-Roboter und lassen mit abgewinkelten Gliedmaßen im Sechszehntel-Rhythmus Stummfilmoptik  zwischen naiver Herzenssehnsucht und expressivem Schrei assoziieren, die  treffsicher zur atonale Musik Schönbergs sich gegen jegliche lyrischen Emotionalisierung sperrt.

Diese entfaltet sich erst mit Nachu Duatos „Por vos muero“ (Für euch sterbe ich). Er spannt den Bogen von heute von zurück auf die spanische spanischer Tanzmusik aus dem 15. und 16. Jahrhundert und Texte von Garcilaso de la Vega, die die Tänze zwischen Liebe und Tod strukturieren, aber auf Spanisch ohne Übersetzung für die meisten Zuschauer nur klanglich wirken. In Nude-Optik  bleiben die Pas des deux der sechs Tanzpaare trotz tänzerischer Perfektion bewusst steril. Die Körper der Tänzerinnen erstarren mitten in der Drehung, gefrieren mit geflexten Gliedmaßen, werden wie sperrige Schaufensterpuppen weggetragen. Umso feuriger wirkt der Wechsel zu den historischen Tänzen. 

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©Fernando Marcos

Die Tänzer nur in Oberteilen mit gebauschten Armen, die Tänzerinnen in gebauschten Röcken präsentiert Nacho Duato mit augenzwinkernder Distanz den mitreißenden Charme der spanischen Renaissance. Er lässt den Leidenschaften in verwegenen Sprüngen, raffinierten Drehungen, freien Lauf, karikiert mit witzigem Kopfwackeln, lässt zuweilen im Detail  die Frauen raffiniert die Führung übernehmen und kristallisiert durch Requisiten, Masken und Weihrauchkesseln, eindrucksvoll den Einfluss von Hof und Kirche heraus.

Mit dieser  Abschiedschoreographie nach 4-jähriger Intendanz am Berliner Staatsballett  bleibt Nachu Duato einmal mehr als großer Ästhet, detailperfekter,  überaus feinfühliger, humorvoller und tiefgründiger Choreograph in Erinnerung. Mit den Versen Garcilasos de la Vega verabschiedet er sich von Berlin trotz der oft harschen Kritik, die die Schönheit seiner Choreographien nicht zu entdecken wusste, mit ungewöhnlich beeindruckender Haltung. „Yo no naci sino para queremos“ (Ich bin nur geboren worden, um euch zu lieben.)

 

Michaela Schabel