„Jurrungu-Ngan“ Marrugeku, 2022©PrudenceUpton
Damit liegt die australische Tanzkompanie Marrugeku ganz im derzeitigen Trend die Folgen der Kolonialisierung aufzuarbeiten. Gleichzeitig spannt sie den Bogen von den Aborigines in Australien zu der Asylantenproblematik. Entsprechend zielt die tänzerische Performance in erster Linie auf expressiven Ausdruck, auf einen Freestyle-Mischmasch multikultureller Stilmittel aus dem orientalischen und afrikanischen Tanz kombiniert mit Crumbling und athletischen Affekten. Das passt zum Thema, das zusätzlich durch Sprechpassagen inklusive Übertitelung immer wieder die Unterdrückung hervorhebt.
Wer innovative Tanzentwicklungen erwartet, wird allerdings enttäuscht. Allzu sehr gleichen sich die tänzerischen Ausdrucksformen, die sich nur durch individuelle Körperlichkeit unterscheiden und das internationale Tanzfestival auf einfachstes tänzerisches Niveau nivellieren.
Die langsamen Bewegungen zwischen Aufspüren, Anschleichen, Jagdpose des indigenen Tänzers Emmanuel James Brown baut zwar gleich zu Beginn die Spannung zwischen Jagen und Gejagtwerden auf, die in der zweiten Sequenz durch die Abschiebung in eine Gefängnisszene beantwortet wird
In der Gruppe verdichten sich im Fallen, Zusammenbrechen, Nicht-mehr-hochkommen zu Tanzformationen der Hoffnungslosigkeit. Doch die Bewegungsmuster ähneln sich zu sehr, geraten zu sehr ins Triviale um die Spannung eineinhalb Stunden aufrechtzuerhalten.
„Jurrungu-Ngan-ga“ Marrugeku, 2022©PrudenceUpton
Dalisa Pigrams Choreografie schöpft weder die Kraft der Musik aus, die ein unheimlich beklemmendes Potential hätte, noch die Freude kultureller Individualität. Bedingt durch die einfachen Tanzmuster, die parodistischen Kostüme mit glänzendem Flitter und vor allem durch Bhenjiu Ras als provokante, scharf machende Transfrau gewinnen individuelle Selbstbespiegelung und tänzerische Effekthascherei mehr Raum als solidarisch erlebte kulturelle Identität.
Die Antwort auf „Klare Ansage“, so die Übersetzung des Titels „Jurrungu Ngan-ga“, auf die zentrale Frage „Wer ist es wirklich, der hier im Gefängnis sitzt?“ erfolgt mehr rhetorisch als tänzerisch und letztendlich verwandelt die Auflistung getöteter Menschen die Performance in ein verbalisiertes Gedenken.
Wer Tanz als Ausdruck bewegender Emotionen erwartet, wird enttäuscht. Der derzeitige Trend zum Aktivismus nimmt den Tanz die professionelle Brillanz. Rhetorik, plakative sozialkritische Narrative verdrängen die Kunst des Könnens durch Körpersprache zu erzählen und erleben zu lassen.
Seit 27 Jahren arbeiten Choreografin und Tänzerin Dalisa Pigram und die Dramaturgin Rachael Swain zusammen und entwickeln Stücke mit interkulturellen Gruppen von PerformerInnen. Diese Erfahrungstiefe wird in „Jurrungu Ngan-ga“ nicht erlebbar. Schade!