Berlin – „Dawson“ – Staatsballett Berlin tanzt zum ersten Mal Choreografien von David Dawson in der Deutschen Oper

Ballettpremiere "Dawson" in Berlin präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Staatsballett Berlin, Yan Revazov

Für „Citizen Nowhere“ stand de Saint-Exupérys „Der Kleine Prinz“ Pate, aber eben nicht in den alten Seh- und Erzählgewohnheiten. In Nude-Optik nackt und ungeschützt wäre XX wie bei Beckett eine verlorene existenzialistische Figur, hätte er nicht wie „Der Kleine Prinz“ die Erinnerung an das, was er liebt und damit eine geistige Heimat. Die Bühne in einen gigantischen Projektionskosmos verwandelt leuchten statt Sonnen Buchstaben als Erinnerungsanker der Sehnsucht. Riesige Zahlen- und Buchstabenstrudel, denkbar auch als Shit-Storms, bauen sich auf, lösen sich über Pixelstrukturen in eine vibrierende Bildstörung auf und verdeutlichen gerade dadurch de Saint-Exupérys weltberühmten Satz. „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
Doch Olaf Kollmannsperger macht in David Dawsons „Citizen Nowhere“ diese Sehnsucht durch seine Bewegungen sichtbar. Durch und durch ein klassisch eleganter Tänzer zeigt sein trainierter Körper gerade durch die modernen Ausdrucksformen extremer Dehnungen bis in die Fußspitzen, weit ausgestreckter Arme, geerdete Bodenbewegungen diese existentielle Sehnsucht nach Liebe, die ihn immer wieder antreibt auf der Reise seines Lebens, ihn aber auch traurig macht und Ängste auslöst.

©Staatsballett Berlin, Yan Revazov

©Staatsballett Berlin, Yan Revazov

Das Aneinander-Vorbeigleiten seiner Handflächen wird zum gestischen Leitmotiv dieser Sehnsucht. Die Rose, die Liebe bleibt allerdings nur als Projektionsfläche sichtbar. Riesengroß, dupliziert und multipliziert, wird Sasha Mukhamedov vom Het Nationale Ballet zum Energiezentrum, gleichzeitig aber auch zum kritischen Blick auf den Warencharakter unserer manipulierten Sehnsüchte, die den Menschen immer wieder in die Vereinzelung als „Citizen Nowhere“ zurückwirft.

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©Staatsballett Berlin, Yan Revazov

In „Voices“ weitet David Dawson die individuelle Sehnsucht ins Globale. Menschenstimmen murmeln in verschiedenen Sprachen. Schnell wird deutlich, dass sie die Einhaltung der Menschenrechte fordern. Sie rückt David Dawson in den Mittelpunkt von „Voices“ und kristallisiert dabei trotz aller Vielfalt eine fast paradiesisch anmutende Harmonie heraus, die sich ergibt, wenn Menschen nicht mehr gegen Tyrannei mit den Mitteln der Gewalt kämpfen müssen. 14 Paare wirbeln vor grünem Hintergrund in ständig wechselnden Konstellationen über die Bühne. Es entwickelt sich ein irisierendes Spiel zwischen Soli, Pas de deux, Pas de trois, Kreis- und Diagonalstrukturen. In einem Feuerwerk von Trippelschritten auf Spitze, rasanten Drehungen, raffinierten Verschlingungen, die Tänzerin als Wurfgeschoss zwischen zwei Tänzern oder als heroische Hebefiguren und Standbilder zeigen eine gekonnte Fusion von Ballett und moderner Tanzexpression.

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©Staatsballett Berlin, Yan Revazov

Die anfänglich hautfarbenen Trikots und der Hintergrund beginnen farblich zu chargieren, je mehr Grundrechte sich herauskristallisieren. Jetzt kann jeder Mensch auch als Individuum leuchten. Die Tänzerinnen auf den Schultern der Tänzer werden zu Ikonen der Freiheit, Handfassungen Drehkreuzformationen zum Ausdruck mitmenschlicher Gleichheit und Harmonie.

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©Staatsballett Berlin, Yan Revazov

Und wieder wird das Spiel der Hände zur markanten Metapher. Weit gestreckt die Arme, die Hände verkreuzt ist der Mensch frei wie ein Vogel. Max Richters Musik für Orchester, Chor und Elektronik, Gesang-, Violin- und Klavier-Soli, Celli und Bässe setzt dazu extrem unterschiedliche atmosphärische Akzente, so dass die dramaturgische Spannung dieser fast einstündigen Choreographie im Detail stets neue Impulse bekommt.

Künstlerisches Team: David Dawson (Choreografie und Konzept), Eno Henze (Bühne), Yumiko Takeshima (Kostüme), Bert Dalhuysen (Licht), Altin Kaftira (Film), Szymon Brozóska (Musik „Citizen Nowhere“), Max Richter (Musik „Voices“)

Besetzung

„Citizen Nowhere“ mit Olaf Kollmannsperger, Sasha Mukhamedov

„Voices“ mit Iana Balova, Alexander Bird, Sarah-Jane Bordbeck, Weronika Frodyma, Tyler Gurfein, Mari Kawanishi Konstantin Lorenz, Sacha Males, Ross Martinson, Johnny McMillan, Aya Okumura, Tabatha Rumeur, Polina Semionova, Alejandro Virelles