Schweiz – Andermatt – das Wetter und der Glaube

©Andermatt

1766 brannte ganz Andermatt lichterloh, als der Föhn eine offene Feuerstelle zu einem Lauffeuer entfachte. 1951 gingen durch plötzlich steigende Temperaturen in einer Woche zehn Lawinen ab. „Es kann Temperaturwechsel von 20 Grad geben“, so Bänz Simmen, ein Andermatter Original und Weltenbummler, der das Snowboarden nach Andermatt brachte und jetzt als Reiseführer historisch überlieferte Wahrheiten zurechtrückt, zum Beispiel über die Kirche und den Aberglauben. Ging eine Lawine nieder oder entfachte Föhn ein Feuer, war es der Teufel. Ein gutes Jahr dagegen ging auf das Konto der Kirche. Unwahrscheinlich reich präsentierte sich die Kirche in Andermatt mit einem der schönsten Rokoko-Altäre weit und breit, um den Pilgern eine Vorstellung vom Glanz des Paradiesese zu geben und sie bei spendenfreudiger Laune zu halten. 

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©Michaela Schabel 

Die Marmorsäulen sind ein Fake. Handwerker ummantelten Holzsäulen mit raffinierten Attrappen. Der Marmor wäre viel zu teuer gewesen. Und die Orgel wirkt durch naturalistische Perspektivmalerei doppelt so groß, als sie in Wirklichkeit ist. Heute ist die Kirche eine touristische Attraktion, ebenso die Teufelsbrücke über die Reussen kurz vor Andermatt,  deren Bau über die früher unüberwindbare Schöllenenschlucht im Sagenschatz des gläubigen Volkes als Teufelswerk Eingang gefunden hat. Hier drehte übrigens Sean Connery eine Szene in seinem ersten James Bond-Film „Goldfinger“. 

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©Michaela Schabel

Es gibt kaum Wälder in diesem Hochtal. Die Berghänge sind kahl. Die Wälder wurden vermutlich schon vor Jahrtausenden für Bau- und Heizmaterial gerodet. Schriftliche Aufzeichnungen gibt es. Bären, Luchse und Schafe verhinderten, dass sich Sekundärwälder entwickelten. Erst in den 1990er Jahren entdeckte man die Bedeutung des Bannwaldes. Da man aber heute in der Schweiz immer noch die Almwirtschaft staatlich fördert und die Rinder wesentlich schwerer als früher sind, wurde wegen des Viehtritts und -verbisses der Andermatter Bannwald kaum größer. Vor dem Hintergrund verliert das Glockengeläute der Rinder seinen romantisch ökobiologischen Klang. 

Durch den Klimawechsel schmelzen nicht nur die Gletscher, auch der Permafrostboden taut auf, wodurch Bodenschichten implodieren und auch Lawinen ausgelöst werden können. „Die Natur gibt vor, was Sache ist“, so Bänz Simmen. Er kennt seine Heimat ganz genau und staunt zuweilen, wenn sich in der Gipfelregion plötzlich etwas verändert hat. Doch über die wirtschaftlichen Impulse im Tal freut er sich. Durch den Entwicklungsschub bekommt Andermatt wieder Perspektiven.