München – Walter Braunfels´ „Die Vögel“ in der Staatsoper 

Braunfels Oper "Die Vögel" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Wilfried Hösl

Im November 1920 wurde Walter Braunfels´ Oper „Die Vögel“ im Münchner Nationaltheater mit großem Erfolg uraufgeführt. Jetzt, 100 Jahre später reanimiert, fragt man sich, warum dieses Musikwerk so lange brauchte, wieder auf die Bühne zu kommen. Die Partitur, insbesondere die Partie der Nachtigall, faszinierend schön von Caroline Wettergreen interpretiert, beglückt. Neben Franz Schreker und Richard Strauss zählt Walter Braunfels zu den bedeutendsten Komponisten jener Zeit, Musik mit modernen Elemente, ohne die Grenzen wie Arnold Schönberg tatsächlich zu überschreiten. Kein Wunder also, dass man immer wieder Richard Strauss assoziiert. 

Als Vorlage für das Libretto diente Braunfels die gleichnamige Komödie von Aristophanes. Ähnlich wie George Orwells „Farm der Tiere“ hat die Oper durchaus parabelhafte Tiefe, doch fehlt im lyrisch-phantastischen Spiel, wie Braunfels sein Werk kategorisierte, eine dramaturgisch packende Umsetzung. 

„Die Vögel“ planen, von zwei Menschen angestachelt, einen Aufstand gegen die Götter, um einen eigenen Staat, das „Wolkenkuckucksheim“ zu errichten. Aristophanes parodierte einst die überambitionierte Expansionspolitik der Athener. Walter Braunfels´ Oper bezieht sich auf den Ersten Weltkrieg, in dem er selbst an der Front kämpfte und verwundet wurde. Im April 1919 erlebte er die brutale Niederschlagung der Münchner Räterepublik. Das „Wolkenkuckucksheim“ verwandelt Walter Braunfels in eine zerzauste „Himmelsburg“, die musikalisch von einem Gewitter hinweggefegt wird. Die alten Kräfte zerstören die Vision von der neuen Gesellschaft. Was bleibt, ist Chaos und Tragödie. Das bebildert Castorf durch sein übliches Regiekonzept in Kombination mit Aleksander Cenić´ allzu abgenutztem trashigem Drehbühnen-Bretterverhau und voyeuristischer Livekamera, mehr auf Sex und Show fokussiert als auf die lyrischen Linien der Musik. Ein überdimensionierter Pappmaché-Hitchcock observiert das Geschehen und, wie immer, sorgt eine Projektionsfläche mittels Castorfs Zitatencollagen, Hitchcocks Filmsequenzen und voyeuristischen Live-Streams für optische Effekte und zusätzliche Denkimpulse oder für arg seichte Bespaßung, wenn Hoffeguts Liebe zur Natur als erotische Anmache an die Nachtigall interpretiert wird. 

Doch trotz kaleidoskopartiger Bebilderung, symbolischen Überfrachtungen, spektakulären Kostümen (Adriana Braga-Peretzki), ist das Paradies, das Cenić zu suchen vorgibt, nicht auf der Bühne zu finden, sondern allein in der Musik, die Ingo Metzmacher in satten Klangfarben zum Leuchten bringt. Das Orchester kristallisiert wunderschön die lyrischen Passagen heraus und intoniert temperamentvoll stürmisches Chaos, hervorragend abgestimmt mit Gesang und Bühnengeschehen.

Caroline Wettergreen in einer raffinierten Federkonstruktion wird als Nachtigall in cis-Moll zur poetischen Stimme der neuen Welt, zum Leitmotiv lyrischer Hoffnung. Betörend schön interpretiert Caroline Wettergreen den Gesang der Nachtigall zu Beginn des zweiten Aktes. In klangreinen, hingebungsvollen Koloraturen über zwei Tonleitern lässt sie in der jubilierenden Schwerelosigkeit immer wieder bedrohliche Abgründigkeit aufleuchten, die an Lucia di Lammermoors Wahnsinnsarie denken lässt. Sanft, vom Gesang der Nachtigall angezogen  stimmt Charles Workman als Hoffegut ein, holt ihr den Vollmond ganz nah her.

Braunfels Oper "Die Vögel" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Wilfried Hösl

Die Nachtigall jubiliert noch mehr, ohne seine Gefühle verstehen zu können. Mit herrlicher Vogelmimik entwindet sich Caroline Wettergreen seiner Umarmung. Der Vollmond entschwindet. Günter Papendell als Wiedehopf, einst ein Mensch, nun König der Vögel, oszilliert gekonnt opportunistisch in mehrdeutiger Harmonik zwischen der Vogel- und Menschenwelt. Der Chor agiert als rebellische Vogelwelt schnell, pragmatisch, opportunistisch, dynamisiert durch die rhythmisch ineinandergreifenden, sehr  anspruchsvollen Achtelketten musikalisch das Geschehen. Michael Nagy zeichnet den Opportunisten Ratefreund mit resolutem Volumen, zunehmend machtorientiert bis zur militanten SS-Optik. Wolfgang Koch als Prometheus erdet „Die Vögel“ und bringt sehr textverständlich, wuchtig, zornig wagnerianisch apokalyptische Dramatik mit ein.