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München – Wagners „Rheingold“ – Gold oder Liebe – nach 12 Jahren neuer Ringzyklus an der Staatsoper

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München – Wagners „Rheingold“ – Gold oder Liebe – nach 12 Jahren neuer Ringzyklus an der Staatsoper

©Bayerische Staatsoper, Foto: Wilfried Hösl

Weniger der Kapitalismuskritik, sondern den metaphysischen Fragen will Regisseur Tobias Kratzer im „Rheingold“ nachspüren. „Gott ist tot“ an die Bühnenwand gesprayt ist die Losung zu Beginn und…

Leitmotiv für diese „Ring“-Inszenierung, die Kratzer als großes kohärentes Narrativ zwischen Sterblichen und Unsterblichen präsentieren will. Dunkel ist der wuchtige Kirchenraum, der gerade saniert wird, dominiert von einem gigantischen, verhüllten Altar auf der Rückseite ein entsprechend großes Baugerüst. Final verwandelt sich das Szenarium in göttliches Ambiente, wenn Wotan und Co wie Skulpturen in den hell erleuchteten, goldenen Altarnischen thronen und den Weg für die nächsten drei „Ring“- Folgen eröffnen. Noch gibt es Götter in der Exposition dieses Vorspiels zum „Ring“. 

Konsequent durchdacht führt Kratzer die nordische Göttersage über die klerikale Hybris des Mittelalters bis in die von Göttern beraubte, ratlose Gegenwart, um wieder am Göttlichen anzudoggen. Den Bogen über die drei Welten spannen der Bühnenbau zwischen Kirche, einer Start-up-Garage für Alberich und dem Altar als symbolische Walhalla, und die Kostüme, Wotan archaisch mit Flügelhelm und Speer, sein Gefolge in mittelalterlicher Optik, alle anderen in lässiger Freizeitkleidung und die beiden Riesen als Priester unserer Tage. Der werkimmanenten Langatmigkeit setzt Kratzer witzige Details und hintergründige Ironie entgegen. Manches wirkt effekthascherisch wie Ziegenbock und Hund live auf der Bühne, dann wieder sehr gekonnt, wenn Alberich sich in einen Lindenwurm verwandelt, durch die Sichtfenster der großen Garage vage zu sehen, oder in eine Kröte in der Plastikdose. Dass Freya an einem Seil aufgehängt wird, um den Abstand zum Boden mit Gold zu befüllen, wird angesichts ihrer Unsterblichkeit zur schrägen Nummer. Es ist einiges los auf der Bühne, grotesk, burlesk, märchen- und rästselhaft, nicht alles überzeugt.

Fahrtwind bekommt die Inszenierung durch die Videos zu den beiden orchestralen Zwischenspielen, in denen Wotan und Loge via Flugzeug zu den menschlichen Niederungen reisen, wie zwei Außerirdische unerkannt durch die Straßen heutiger Metropolen spazieren und sich schelmisch über ihre Siege gegenüber den Sterblichen amüsieren.

Opernkritik von Wagners "Das Rheingold" an der Münchner Staatsoper präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Filmstill©Manuel Braun, Janic Bebi, Jonas Dahl

Dass Alberich dann wegen des Ringes splitternackt malträtiert, von Markus Brück überaus souverän, sehr beeindruckend gespielt und gesungen, erdet die Inszenierung in heutiger Gewalttätigkeit. Geschlagen, getreten degradiert der Mensch ohne Vermögen in völliger Nacktheit zum elenden Nichts und die Götter sonnen sich in ihrer eigenen Unsterblichkeit, deren Symbol, die Äpfel, immer wieder leitmotivisch auftauchen. 

Die Rebellion dahinter wird musikalisch hörbar. Während Vladimir Jurowski das Orchester größtenteils sehr klar und zurückhaltend dirigiert, um die rezitativen Gesangslinien in den Vordergrund zu stellen, lässt er das mächtige Perkussionsensemble unter der Bühne mit 18 Ambossen, Harfe, Hammer das Leitmotiv der Nibelungen mächtig auftrumpfen. Gerade weil es kein optisches Pendant dazu gibt, entsteht ein düsterer Sog, der durch seine facettenreiche Artikulation und Dynamik diese Inszenierung musikalisch sehr gekonnt aufmischt, und im Vorspiel eine tiefgründige Ebene offeriert, deren revolutionäre Kraft von den Göttern völlig überhört wird.   

Sängerisch souverän besetzt begeisterten vor allem Nicholas Brownlee stimmwuchtig als Wotan, Sean Panikkar als ständig zigarettenrauchender, smart mephistophelischer Loge, Wiebke Lehmkuhl als eindringlich warnende Erda, Matthew Rose als Fasolt und allen voran Markus Brück als facettenreicher Alberich.

Alles in allem löst diese „Rheingold“-Inszenierung noch keine Euphorie aus, aber sie macht neugierig auf die nächsten Folgen.

Künstlerisches Team: Vladimir Jurowski (Musikalische Leitung), Tobias Kratzer (Regie), Matthias Piro (Mitarbeit Regie), Rainer Sellmaier (Bühne & Kostüme), Michael Bauer (Licht), Manuel Braun, Janic Bebi, Jonas Dahl (Video), Bettina Bartz (Dramaturgie)

Mit: Nicholas Brownlee, Milan Siljanov, Ian Koziara, Sean Panikkar, Markus Brück, Matthias Klink, Matthew Rose, Timo Riihonen, Ekaterina Gubanova, Mirjam Mesak, Wiebke Lehmkuhl, Sarah Brady, Verity Wingate, Yajie Zhang, Bayerisches Staatsorchester