München – Richard Strauss´ „Der Rosenkavalier“ als erfrischende Neuinszenierung in der Staatsoper

Koskys "Rosenkavalier" in München präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Bayerische Staatsoper/Wilfried Hösl

Barrie Kosky thematisiert die Zeit, entdeckt im Einst das Heute. Die Marschallin und ihr junger Liebhaber steigen aus der historischen Wanduhr direkt ins Schlafzimmer. Geliebt wird ohne Bett, auf dem Boden, dass die Uhrzeiger gegengleich Amok laufen. Koskys originelle Inszenierung mit drei starken Frauen in den Hauptrollen chargiert zwischen den Epochen, meist in nächtlichen Stimmungen. Das silberglänzende Boudoir verwandelt sich in eine barocke Goldglanzbühne, eine Blaupause für die Sehnsüchte der Marschallin, die vereinsamt durch antizipierende Eifersucht, Lebenslust nur noch aus der Ferne der Loge erlebt. Später wartet sie gelassen, auf einem großen Uhrpendel sitzend, was die Zukunft bringen wird. Der Verlust ihres Liebhabers ist kein Weltuntergang mehr. Ein neuer wird sich finden.

Mit der weiblichen Besetzung von Octavian wird geschickt die Genderfrage eingearbeitet, gewinnen die Liebesszenen eine neue, sehr feminine Zärtlichkeit. 

Kosky hat immer wieder  optische Überraschungen auf Lager, demontiert frech romantische Klischees und lässt die SängerInnen mit gestisch-mimischer Übertreibung ihre Rollen herrlich erfrischend interpretieren, wirbelt das Geschehen mit Tänzern als böse Geister skurril auf. Statt eines jungen Amors ist Cupido, ein vom Leben gebeugter und ausgemergelter alter Mann, im Hintergrund omnipräsent, bis seine Einflüsterungen final im Souffleusenkasten durch den zugezogenen Theatervorgang wirkungslos bleiben. 

Optische Präzision taktet punktgenau mit den musikalischen Akzenten. Ganz eng beieinander sind Bühne und Graben. Vladimir Jurowski, zum ersten Mal mit dem Bayerischen Staatsorchester in der Münchner Oper zu hören, dirigiert den „Rosenkavalier“ flott, ohne die lyrischen Passagen und die unterschiedlichen Walzertempi einzuengen, voller Transparenz und ausreichend Volumen.

Die sängerische Besetzung ist bis in die kleinsten Nebenrollen großartig.  Marlis Petersen macht aus der Marschallin optisch, schauspielerisch und sängerisch eine Grande Dame, fähig zu leidenschaftlicher Liebe und später beseelt von wissender Gelassenheit. Sie singt faszinierend, sehr textdeutlich, enthüllt die emotionale Achterbahn dieser Frau himmelhochjauchzend verliebt, verschattet im Liebesleid zum „alten Weib gemacht“ und voller fulminanter Wucht überzeugt, den Gang der Dinge nicht aufhalten zu wollen. 

Samantha Hankey eröffnet als Octavian neue Perspektiven. Mit einem Griff um die Taille weiß sie die Marschallin zu erotisieren, mit ihrer sirenenhaften Stimme alle Zweifel der Eifersucht zu verflüchtigen. Als Zofe erweckt sie mit jedem Hüftschwung männliche Begierden und entlarvt den Baron als unkontrollierten Grapscher. Um Sophie wirbt sie als edel souveräner Märchenprinz samt aufwändiger silberner Kutsche, dem Original Ludwigs II. nachgebaut. 

Koskys "Rosenkavalier" in München präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Bayerische Staatsoper/Wilfried Hösl

Katharina Konradi gibt eine überaus kesse und emanizpierte Sophie ab, die sich gegen die Übergriffigkeiten ihres groben Bräutigams vehement zu wehren weiß genau wie gegen ihren autoritären Vater, von Johannes Martin Kränzle herrlich als spießigen Esel gezeichnet. 

Mit seinem facettenreichen, souverän durchdringenden Bariton zeigt Cristof Fischesser den Baron als  testorongesteuerten Schürzenjäger, bei der Brautwerbung als österreichelnden Grobian mit abgründig brachialen Tiefen, leicht verletzt, nur ein Blutstropfen am Finger, den egomanischen Hysteriker und beim Tête-à-Tête im Wirtshaus, das ihm zur Falle wird, einen immer grimmiger werdenden Trunkenbold. Unter Papierkugelbeschuss wird er als Auslaufmodell von der Bühne gejagt. #MeToo lässt grüßen.

Koskys "Rosenkavalier" in München präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Bayerische Staatsoper/Wilfried Hösl

Endlich können Sophia und Octavio in den siebten Himmel der Liebe entschweben, ein entzückender Märchenschluss.

Die Kameratechnik setzt das alles bestens in Szene. Im Zoom gelingen wunderschön berührende und satirische Momente. Doch größtenteils auf Nahaufnahmen fokussiert, geht der Zauber zentralperspektivischer Vielschichtigkeit des Geschehens und eigenen Entdeckens verloren, ganz zu schweigen vom Live-Erlebnis dieser fulminanten Musik.

Der Life-Stream ist auf der Webseite der Bayerischen Staatsoper als Video-on-Demand zu sehen.