München – Richard Strauss’ „Capriccio“ in der Bayerischen Staatsoper funkt nicht wirklich

Opernkritik "Capriccio" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Bayerische Staatsoper, Wilfried Hösl

Die Thematik, ob nun Text oder Musik bei einer Oper wichtig seien, eingebettet in eine Geburtstagsinszenierung für die Gräfin als Theater im Theater zieht sich in immer neuen, sich ähnelnden Diskussionen hin, die handlungsmäßig wenig hergeben. Eine Antwort auf diese Frage gab schon Giambattista Casti (1724-1803) in Divertimento teatrale „Prima la musica e poi le parole“ (Zuerst die Musik und dann die Worte). Doch im Laufe der Musikgeschichte wurden immer wieder verschiedene Prioritäten gesetzt.

Inspiriert von Stefan Zweig darüber eine Oper zu schreiben fand Richard Strauss als Präsident der Reichsmusikkammer ein unverfängliches Thema der nationalsozialistischen Forderung nachzukommen Unterhaltungsoper zu bieten und doch seinen Traum von der Weiterentwicklung der Opernmusik zu realisieren. Die Bühnenausstattung blieb ursprünglich sekundär, allein die Musik sollte die Figuren charakterisieren. Da Stefan Zweig Deutschland verlassen musste, dauerte es, bis das Libretto unter Joseph Gregor und Clemens Krauss mit kreativen Pausen und Verwerfungen an die acht Jahre, bis die Oper fertig wurde. Richard Strauss musste inzwischen von seinem Amt zurücktreten, blieb aber das umjubelte Aushängeschild der deutschen Musik. 

Trotz wenig markanter inhaltlicher Sätze entstand ein voluminöses Libretto. Es in der kleinen und wenig kontrastreichen Schrift der Übertitelungsanlage des Prinzregententheaters mitzulesen ist anstrengend, fordert viel zu viel Aufmerksamkeit auf Kosten des Musikhörens. 

Die zuweilen kammermusikalische Komposition mit Streichertrios und -sextetten auf der Bühne ist brillant, die Vielfalt von musikalischen Zitaten und Anspielungen auf Richard Strauss’ eigene Werke kommt unter dem Dirigat von Lothar Koenigs aber größtenteils nur in den rein instrumentalen Passagen voll zur Wirkung. Über dem feinen Flirren der Bläser und Streicher lasten zuweilen die voluminösen Stimmen, ohne die schwebende Balance zu Richard Strauss’ atmosphärischen Seelenstimmungen in ihren rezitierenden Parlandi wirklich aufleuchten zu lassen. 

Großartig gelingt das Tanja Ariane Baumgartner als kapriziöse Schauspielerin Clairon. Mit ihrem verführerischen Timbre zeichnet sie diese Madame erfrischend frivol, kein Wunder, dass der Graf, mit Michael Nagy spritzig, frivol bestens besetzt, ihr sofort zu Füßen liegt. Diana Damraus Rollendebüt als Gräfin wirkt divenhaft. aber ohne Raffinesse in unvorteilhafter Kostümierung. Ihr kraftvoller Sopran bringt erst im letzten Drittel zum Beispiel im Solo mit der Harfe die ambivalenten Facetten dieser Frau zum Ausdruck, die nicht so recht weiß, in wen sie verliebt ist, in den Komponisten, Pavol Breslik singt und spielt ihn etwas brachial, oder in den Dichter, mit Vito Pirante ein stimmlicher Schöngeist, der Richard Strauss’ Musik zum Flirren bringt. „Gewinne ich den einen, verliere ich den anderen“ ist das Dilemma der Gräfin, die aber das „Verbrennen zwischen beiden“ szenisch wenig umsetzt. 

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©Bayerische Staatsoper, Wilfried Hösl

Sehr gekonnt arbeitet David Marton in dieser Inszenierung den politischen Kontext jener Zeit heraus. Eine Elevin, junge und alte Tänzerin markieren die Dressur durch die nationalsozialistische Diktatur, mit die spannendsten Szenen des Abends. Der Haushofmeister drangsaliert unter der Bühne wie in einem Gefängnisverlies die zarte, devote Elevin, eine Dressur nach unerbittlichen Regeln und unter Aufgabe jeglichen selbstständigen Willens.

©Bayerische Staatsoper, Wilfried Hösl

Umso mehr freuen sich die Tänzerinnen bei ihrem Auftritt diebisch vom Überfluss des angerichteten Büffets zu kosten, eine herrliche Parodie auf kleine Widerstände gegen das Regime. Zur Parodie degeneriert auch das Duett von Sänger und Sängerin in „altmodischer“ Arienmanier mit viel Volumen, aber wenig Tiefgang. Der Theaterdirektor, mit Kristinn Sigmundsson ein sonoriges Urgestein ohne die Abgründigkeit der Tiefe bleibt mit beiden Beinen in der Realität und will in erster Linie Nachruhm, wobei Richard Strauss ein wenig durchschimmert. 

Richard Strauss’ stimmliche Tiefenstrukturen leuchten auf, wenn die Diener ihren freien Abend feiern, die Lichtregie das Geschehen in traumatische Ambivalenz taucht, Toby Spence als Souffleur als heimlicher Führer aus dem Untergrund Richard Strauss’ musikalischen Duktus stimmlich berührend schön zur Wirkung bringt, die Schergen des Systems in den Logen selbst das leere Opernhaus noch observieren. Im letzten Drittel gewinnt „Capriccio“ eine dramaturgische Spannung, für es lohnt, diese Inszenierung zu sehen. 

Musikalisches Team: Lothar Koenigs (Musikalische Leitung), David Marton (Inszenierung) Andreas Weirich (Szenische Einstudierung) Christian Friedländer (Bühne), Pola Kardum (Kostüme), Henning Streck (Licht), Barbara Engelhardt, Katja Leclerc (Dramaturgie)

Es singen und spielen Diana Damrau (Gräfin), Michael Nagy (Graf), Pavel Breslik (Komponist), Vito Priante (Dichter), Kristinn Sigmundsson (Theaterdirektor), Anja Ariane Baumgartner (Schauspielerin), Toby Spence (Souffleur), Deanna Breiwick (Sängerin), Galeano Salas (Sänger), Christin Oldenburg (Haushofmeister), Anna Henseler, Zuzana Zahradnikova, Ute Vermehr (Tänzerinnen), Chor und das Bayerisches Staatsorchester