München – Reynaldos Hahns Oper „L´île du rêve“ 

Ein einmaliges Erlebnis 

Das Münchner Rundfunkorchester entdeckt die französische Romantik mit „Liedern“ und Reynaldo Hahns Oper  „L´île du rêve“ 

Ein Konzert nur ein einziges Mal hören zu können hat natürlich einen besonderen Charme, zumal wenn alle dargebotenen Stücke völlig unbekannt sind, weil sie bislang nicht editiert wurden. Ein derart einmaliges Erlebnis bot 3. Sonntagskonzert des Münchner Rundfunkorchesters im Prinzregententheater. Französische romantische „Lieder“ aus der Feder Gabriel Faurés (1845-1924), Jules Massenets (1842-1912), dessen Schüler Reynaldo Hahn ((1874-1947) standen auf dem Programm und Hahns konzertant aufgeführte Oper „L´île du rêve“. 

Der große Applaus war den sehr sympathischen Sängerinnen und Sängern aus Frankreich geschuldet und insbesondere dem Münchner Rundfunkorchester, das unter dem subtilen Dirigat Hervé Niquets die romantischen Musikstimmungen in klangschöner Artikulation, instrumental präzisem Zusammenspiel und facettenreicher Dynamik zu Ohren brachte.

Das Konzert überraschte gleich zu Beginn mit Reynaldo Hahns jazzig frecher Ouvertüre zu seiner Opéra-comique „Mozart“  und machte neugierig auf die folgenden Lieder. Vier Solisten interpretierten jeweils drei bis vier kleine Liebeslieder in blumigen Naturmetaphern, sehr atmosphärisch vom  Orchester und den einzelnen Instrumentalgruppen begleitet.

Cyrille Dubois feiner Tenor mit wenig Volumen in tieferen Lagen kam in den solistischer Begleitungen mit Harfe und Geige gut zur Wirkung, glänzte bei „Pichouennette“ mit eloquenter Artikulation, wirkte allerdings im Orchesterforte verloren und in den Höhen an diesem Abend sehr angestrengt. Mezzosopranistin Anaik Morel ließ aufhorchen. Mit großem Tonspektrum interpretierte sie Massenets „Le poète et le fantôme“ die schwermütigen Erinnerungen eines Liebenden wie einen Dialog in kontrastierenden  Stimmlagen. Den satten Cellobeginn in Massenets „On dit!“ steigerte sie mit ihrem durchglühtem Timbre zu leidenschaftlicher Expression. Ludvine Gombert  entfaltete erst nach Hahns „Mai“ bei  Massenets „Amoureuse“, „Je t´aime“ ihren kraftvollen Sopran, interpretierte Faurés „Clair de lune“ sehr poetisch  und ließ mit Bariton Thomas Dolié „Les fleurs“ Blühen und Verwelken als Metapher des Lebens aufleuchten. Thomas Dolié durchdringender Bariton entdeckte  in Hahns „Paysage“ dramatischen Liebeskummer. Sein fulminantes Timbre durchstrahlte selbst das  orchestrale Forte beim „Chanson du pêcheur“ und mit einem temperamentvollen Trinklied von Massenet sorgte er für großen Applaus vor der Pause. 

Trotz größeren Sängerensembles und des imposanten, überaus klangschönen Chors von „Le Concert Spirituel“ wollte die anschließende konzertante Aufführung von Hahns Oper „L´île du rêve“ nicht so recht zünden. 

Als Erstlingswerk zeigt die Oper durchaus das musikalische Talent Reynaldo Hahns, der schon mit acht Jahren zu komponieren begann. 1874 in Caracas als Sohn einer Venezolanerin und eines jüdischen Kaufmanns geboren, übersiedelte er mit zehn Jahren mit der Familie nach Paris, wo er vor allem von seinem Lehrer  Massenet musikalisch geprägt wurde. 

In  „L´île du rêve“ greift Reynaldo Hahn ein sehr gängiges Thema seiner Zeit auf. Mahénu, ein Taiti-Mädchens verliebt sich während der Kolonialzeit in einen französischen Offizier. Sie heiraten. Er kehrt wie so mancher vor ihm nach Frankreich zurück. Die Prinzession hält Mahénu davon ab, ihn zu begleiten und in der Heimat zu bleiben. Nur 50 Minuten lang bleibt diese polynesische Idylle, wie Hahn sie nennt, eine lineare Geschichte ohne tiefere Figurencharakterisierung und dramatischen Tiefgang trotz der ambitionierten Solisten. 

Sopranistin Hélène Guilmette gibt eine bezaubernd mädchenhaft naive Mahénu mit federleichten Koloraturen ab, zu der Cyrille Dubois als schüchterner Offizier mit leiserer Stimmart recht gut passt. Anaïk Morel als resolute Prinzessin und Ratgeberin ist stimmlich immer ein Akzent, genauso wie Ludivine Gombert, Thomas Dolié und Artavazd Sargsyan in mehreren extrem kurzen Nebenrollen. 

Die Komposition ist über die einzelnen Instrumentalgruppen, insbesondere Celli, Violinen, Harfe und Fagotte sehr emotionalisierend angelegt, mit lyrischen Soli, zackigen Chorpassagen und gewaltigen Tutti, weist aber bis auf drei klangschöne, sich ähnelnde Duette kaum Höhepunkte auf. Die Melodien fließen im Wohlfühlmodus dahin, ohne die exotische Atmosphäre der Südsee widerzuspiegeln. Dass der Chor polynesisch singt und  von  klassischer Orchesterdramatik begleitet, wirkt aus heutiger Sicht schon sehr schräg genauso wie das wuchtige Orchesterfinale. Kitschig oder ein amüsanter Blick auf die Operngeschichte? Das entscheidet jeder für sich. 

Ob das Ziel in Kooperation mit dem Zentrum für französische Musik der Romantik, dem „Palazzetto Bru Zane“, und der dahinter stehende Stiftung Foundation Bru erreicht wird, neu entdeckte  romantische Werke aus Frankreich international ins Bewusstsein zu bringen, wird die Zukunft über die Rezeption der live-CD dieses Konzerts beantworten. 

Michaela Schabel