Frenetischer Jubel bei der letzten „Tosca“-Vorstellung der diesjährigen Opernfestspiele in München, kein einziges Buh wie bei der Premiere, beweist, dass die Inszenierung beim Publikum ankommt, zwar nicht gleich zu Beginn, aber ab dem zweiten Akt…
©Bayerische Staatsoper, Foto: Wilfried Hösl
Der Einstieg irritiert, weil Regisseur Kornél Mundruczó zunächst nicht Puccinis zeitliche und räumliche Verortung von 1800 übernimmt, drei Tage vor dem entscheidenden Sieg Napoleons bei Marengo, sondern Cavaradossi als Filmregisseur Pier Paolo Pasolini anlegt, der gerade eine Filmsequenz aus „Die 120 Tage aus Sodom“ (1975) dreht. Damit erklärt und verdichtet Mundruczó dramaturgische Leerstellen, die das Libretto von Tosca nach dem französischem Schauspiel von Victorien Sardou nicht beantwortet. „Tosca“ wird zum zeitlosen Politthriller, in dem sich faschistische Strukturen aus den sadomasochistischen Anlagen des Baron Scarpia erklären.
Eine skurrile Hochzeit mit nacktem Brautgefolge, die in Bodypainting in Rot endet, fokussiert bereits die erste Filmszene auf die enge Verzahnung zwischen Macht und sexueller Gier, Liebe und Blut. Gleichzeitig wird der Kontrast von Schein und Sein, Realität und Fiktion, noch deutlicher. Cavaradossi und Tosca leben für die Kunst und gehen darin auf. Tosca spielt ihre Diva-Rolle als Opernsängerin im realen Leben perfekt weiter, eifersüchtig auf alles, was ihre Aura eintrüben könnte. Der Maler Cavaradossi alias Filmemacher Pasolini sympathisiert mit dem politischen Widerstand und spielt als Künstler in Bezug auf Tosca die Rolle des Verehrers, dass Pasolini auch Maria Callas sehr bewunderte und mit ihr befreundet war, stützt die Konzeption, wird aber nur aus dem Programmheft, nicht aus der Inszenierung erkennbar.
Dass bei so viel Rollenspiel keine authentischen Emotionen aufkommen, wird im ersten Akt deutlich hörbar. Unter der musikalischen Leitung von Andrea Battistoni dominieren extreme Dynamikwechsel mit häufigen Crescendi, wodurch sich eher Wettbewerbssituationen zwischen SängerInnen und Orchester ergeben als lyrisches Miteinander. Scarpias Ziele rücken in den Mittelpunkt. Er sieht Caravadossi am Galgen und Tosca in seinen Armen. Bildwuchtig knüppeln seine Schergen das Filmteam nieder. Die Freiheit der Kunst ist in autoritären Strukturen nicht mehr gegeben.
Die Szenerie ändert sich grundlegend nach der Pause. Eine etwas kleinere Bühne, Scarpias luxuriöses Wohnzimmer, fährt auf der großen nach vorne. Ludovic Tézier offeriert mit seinem satten Bariton großartig, wie ein Machtmensch wie Scarpia tickt. Was er begehrt, nimmt er sich, um es dann sofort wegen anderer Begehrlichkeiten wegzuwerfen. Das Untergeschoss schiebt hoch und eine verglaste Folterkammer gibt Einblick in das Martyrium Caravadossis.
©Bayerische Staatsoper, Foto: Wilfried Hösl
Im Schlagabtausch mit Scarpia entwickelt Eleonore Buratto Tosca zu einer fulminanten Gegenspielerin, die nicht davor zurückschreckt, das Scheusal Scarpia zu erdolchen. „Das ist Toscas Kuss“ schreit sie triumphierend. Eine aufwühlende Szene!
Die vermeintliche Freiheit in Sicht weicht im dritten Akt das Rollenspiel einer authentischer Liebe, in der Battistoni den wunderbaren emotionalen Musikkosmos Puccinis aufleuchten lässt. Liebesszenen aus einem alten Pasolini-Film hüllen die mögliche Zukunft atmosphärisch ein, und dokumentieren einmal mehr die Diskrepanz von Sein und Schein. Den klangschönen Arien von Jonas Kaufmann und Eleonore Buratto folgt die reale Erschießung Cavaradossis und Toscas Todessprung in die Tiefe. Blutrot färbt sich die Bühne.
Diese konzeptionell ambitionierte Operninszenierung sollte man sich nicht entgehen lassen.
Künstlerisches Team: Andrea Battistoni (Musikalische Leitung), Kornèl Mundruczó (Inszenierung), Monika Poramle (Bühne, Kostüme), Felice Ross (Licht), Rüdolfs Baltins (Video), Christoph Heil (Chöre), Kata Wéber, Malte Krasting (Dramaturgie), Catharina von Bülow (Abendspielleitung
Mit: Eleonora Buratto (Floria Tosca), Jonas Kaufmann (Mario Cavaradossi), Ludovic Tézier (Baron Scarpia), Roman Chabaranok (Cesare Angelotti), Martin Snell (Messner), Tansel Akzeybek (Spoletta), Christian Rieger (Sciarrone) Pawel Horodyski (Gefängniswärter)