„Moral über alles?“ Nein, sagt der renommierte Politikwissenschaftler und Bestsellerautor Michael Lüders. Pointiert, aber sachlich kritisiert er die derzeit herrschende Moralisierung politischer Entscheidungen, womit sich speziell deutsche PolitikerInnen als Gutmenschen schlechthin profilieren wollen. Das Buch bietet eine überzeugende Analyse der geopolitischen und ethischen Fehler, die westliche Nationen in ihrer Außenpolitik immer wieder begehen…
©Goldmann Verlag, 2023
Die simple Trennung von Gut und Böse führt nach Lüders Ansicht in der Außenpolitik zu einer Polarisierung mit desaströsen Folgen. Er plädiert für eine stärkere Wahrnehmung der Nationalinteressen.
Aktuelles Beispiel sind die sich auftürmenden Wirtschaftsprobleme seit der Aufkündigung der deutsch-russischen Energiepartnerschaft infolge Putins völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Die Sanktionen bewirkten nicht den Niedergang Russlands, sondern die größte Wirtschaftskrise in Deutschland.
Lüders holt weiter aus. Die westliche Welt, USA und EU obenan, agieren überheblich und kontraproduktiv, weil sie durch ihre Wertehaltung politische und kulturelle Realitäten anderer Länder ignorieren und durch ihr Schwarz-Weiß-Denken vereinfachen. Durch katastrophale Interventionen entstehen langanhaltende Konflikte, die das Leid der Zivilbevölkerung verschlimmern, zu Flüchtlingsströmen und Terrorismus führen. Leidvolle Beispiel sind die westlichen Interventionen im Nahen Osten, im Irak, in Libyen und Syrien. Die Verteidigung moralischer Werte wird vorgeschoben, um Eigeninteressen zu sichern, Regierungen und politische Systeme zu stürzen. Dabei zeigt sich Lüders als fundierter Kenner der politischen Situationen und scheut sich nicht die medial verbreiteten Narrative im Westen in ihrer Einseitigkeit in Frage zu stellen. Seiner Argumentation kann man sich nicht entziehen, weil er seinem grundlegenden Motto folgt, dass die politische Bewertung vom Zeitpunkt abhängt, von dem aus man die Lage aus betrachtet. Die Terrorakte vom 11.09. 2001 in New York und Washington ist die Retourkutsche für die USA-Politik im Nahen Osten, wo die Taliban von den USA gefördert wurden. Kritisch enthüllt Lüders die Lächerlichkeit der deutschen Politik, insbesondere der deutschen Außenpolitik die ethische Vorreiterrolle in der Welt spielen zu wollen. Stattdessen fordert er eine sachliche Auseinandersetzung mit den eigenen Fehlern und Orientierung an nationalen Interessen.
Lüders „Moral über alles?: Warum wir im Umgang mit der Welt scheitern“ besticht durch sachlogische Argumentation und seine klare und leicht zu verstehende Ausdrucksweise. Es ist ein erhellender Perspektivwechsel, ein Muss für jeden Bürger, der sich Gedanken über die Zukunft Deutschlands und des Westens macht.
Michael Lüders studierte Politik- und Islamwissenschaften in Berlin und Damaskus. Er war lange Jahre Nahost-Korrespondent der Hamburger Wochenzeitung „Die ZEIT“. In den 90er Jahren berichtete er aus Afghanistan, war Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft in Nachfolge des verstorbenen Peter Scholl-Latour. Michael Lüders hält Vorträge über das Spannungsverhältnis zwischen dem Westen und der arabisch-islamischen Welt, ist häufiger Gast im Hörfunk und Fernsehen und nimmt auf Youtube regelmäßig Stellung zu politischen Themen.
Michael Lüders „Moral über alles? Warum sich Werte und nationale Interessen selten vertragen“, Goldmann Verlag, München 2023, 256 S.