München – Opernfestspiele – Richard Strauss´“Salome“ in ganz neuen Facetten

Operkritik "Salome" in München präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Wilfried Hösl

Unter seiner präzisen, sehr expressiven Regie wird Richard Strauss´ „Salome zum Freudschen Sexualpanorama. Eros getrieben von Begierde bestimmt die Handlung vor dem Hintergrund. Salome, Sinnbild der schönen Frau, provoziert das Spektrum männlicher Begierde und ihrer Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen sich selbst gegenüber. Gleichzeitig flammt in Salome die Liebe auf, intensiviert durch ihre jugendliche Neugier, das mütterliche Erbgut als narzisstische Männerverführerin und die religiös fundierte, gesellschaftlich verankerte Abstrafung der Frau als Ursache allen Übels. Durch eine knappe Rahmenhandlung gelingt Krzysztof Warlikowski das Kunststück, an der Ermordung des Propheten die Schuldfrage des Holocaust neu zu durchdenken. Arrivierte Juden spielen  in einer Talmudbibliothek „Salome“-Motive nach Musik aus der Tonkonserve nach. Sie amüsieren sich, als wären sie noch Teil einer Gesellschaft, die sie schon längst ausgegrenzt und zum Tode verurteilt hat.

Malgorzatas Szezésniaks  raffinierte Universalbibliothek bekommt einen Riss, rückt die Welten auseinander, dazwischen eine Untiefe, fügt sich in alter Optik dunkler gehalten neu zusammen für die Oper „Salome“. Blutrot wandelt sich szenenadäquat in das Rot der Leidenschaft. Die Regale schief, die Bücher durcheinander, symbolisiert die Bibliothek das Chaos der Welt. Bei Salomes Tanz driftet die Welt noch einmal ganz auseinander, in einer silbrigen Vertiefung präsentiert Claude Badrouil Salomes Pas des deux mit dem Tod, das rote Kleid gegen ein weißes getauscht, nicht als erotische Verführung, sondern als pathetisch surrealen Totentanz, während die Kamil Polaks bühnengroße Tierprojektionen im Hintergrund arabischen Märchenwelten heraufbeschwören. Aber die Realität ist anders. Die Menschen sehen sich nicht mit Liebe an. Die Juden töten sich selbst mit Zyankali im visuellen Nachspann.

Das ist nicht ganz leicht zu verstehen, aber großartig und hintergründig konzipiert und über das Programmheft durch die cinematische Rezeption des Holocaust und der Schuldfrage verdichtet.

In Kombination mit der musikalischen Qualität ist der Münchner Staatsoper mit dieser „Salome“ ein ganz großer Wurf gelungen, ein spannendes Psychogramm jeder Figur durch sängerisch und schauspielerisch exzellente Besetzung.

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©Wilfried Hösl

Marlis Petersen präsentiert eine durch und durch stimmige Salome, die als Lustobjekt der Männer genauso authentisch wirkt wie in ihrer ekstatischen Sehnsucht nach Liebe, mit ihrer Stimme, ihrer Körperlichkeit, ihrer erotischen Ausstrahlung und ihrem tänzerischen Ausdruck  alle Facetten dieser Salome hör- und sichtbar macht.

Mit Pavol Breslik wird Hauptmann Narraboth ein trefflicher Verehrer Salomes. Mit großartiger Stimmlage und erotischen Umschlingungen glaubt er sie besitzen zu können. Selbst vor dem Vater, mit Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Herodes, sein souverän übergriffiger, stimmlich durchdringender  Despot ist Salome nicht sicher. Klar, dass diese heiß begehrte Salome es nicht ertragen kann, von einem alten Propheten nicht begehrt zu werden. Mit Wolfgang Koch ist stimmlich und optisch Jochanaan der absolute Gegentyp. Durch Nicht-Anschauen Salomes kann er männliches Lustempfinden unterdrücken, klagt stattdessen Herodia als Hure an, die zeigt Michaela Schuster als bereits machtlose Intrigantin, ohne Einfluss auf Salome.

Absoluter Höhepunkt ist  das Bayerische Staatsorchester unter dem Dirigat von Kirill Petrenko. Seine „Salome“-Interpretation eröffnet neue Hördimensionen zwischen infernalischer Wucht und lyrischer Subtilität, lässt Richard Strauss´ Komposition in vielen Details und Facetten derart nuanciert erleben, dass sich ritualisierte Figurenklischees  auflösen und über die Regie hinaus ambivalente Deutungen hörbar werden. Ein spannender Opernabend in jeder Beziehung.

Michaela Schabel