Ihre Produktionen sind in jeglicher Hinsicht einzigartig. Seit über zehn Jahren präsentieren Andreas Wiedermann (Regie) und Ernst Bartmann (musikalische Leitung) mit jungen Sängern und Musikern aus den Akademien München, Nürnbergs und Salzburgs Ende August, Anfang September ein kleines Opernereignis. Zum einem ist der Ort immer außergewöhnlich, zum anderen wagen Wiedermann & Bartmann ganz ungewöhnliche Interpretationen.
Dieses Jahr überraschte das Team mit Henry Purcells frühbarocker Oper „Dido and Aeneas“ und Benjamin Brittens moderner Oper „The Rape of Lucretia“ im Müller´schen Volksbad, nicht einfach nacheinander gereiht, sondern als Spiel im Spiel und Rahmenhandlung miteinander verbunden. Gleichzeitig wird die Spielhandlung durch die grandiose Kulisse des Jugendstilbads stimmig verortet.
©Andreas Wiedermann
Zwei Beobachter reflektieren das Geschehen aus sachlicher Sicht, um zu dokumentieren, inwieweit sich Rollenverhalten durch Jahrhunderte der Kulturgeschichte erhalten haben. Römische Feldherren aus Brittens „Rape of Lucretia“ schauen sich lässig am Poolrand lagernd und Trauben essend die Inszenierung von „Dido and Aeneas“ in und um das Wasserbecken herum an, inklusive eines kleinen Wasserballetts als witzige Variante barocker Üppigkeit. Als Dido sich umbringt, weil Aeneas sie verlässt, um in Rom ein neues Herrschergeschlecht zu gründen, wie ihn die Zauberin durch einen Luftgeist soufflieren lässt, folgt nahtlos sieben Jahre später die moderne Version des „Raubs der Lucretia“ mit kriegslärmender Agitation der angetrunkenen Feldherrn. Lucretia ist die einzig keusche Frau in Rom. Tarquinius, Prinz von Rom, der willigen Huren überdrüssig will Lucretia verführen. Als ihm das nicht gelingt, vergewaltigt er sie und sie nimmt sich aus Scham darüber das Leben. Der etruskische Prinz wird vertrieben. Rom wird frei.
©Andreas Wiedermann
Die derzeitige #Me Too-Diskussion beweist, dass sich die dominierende Verhaltensweisen der Männer über Jahrhunderte hinweg erhalten haben. Andreas Wiedemann geht noch einen Schritt weiter. Die große Liebe wird nicht nur durch Männer und Schicksal entehrt. Die Liebe, Kerngedanke des Christentums hinterfragt mit einem großartigen Schlussbild Brittens christgläubigen Epilogs als reines Glaubensbekenntnis. Jesus mit dem Kreuz auf den Schultern nimmt das Elend entsprechend des Librettos auf sich. Dreimal stürzt er in das Wasser. Erst als das Volk ihn auf Händen über das Wasser gehen lässt, gelingt das Wunder.
Das Publikum ist zurecht begeistert. Die Magie des Wasser und seiner dramaturgischen Effekte, die Spiellust des Ensembles lässt manch akustische Problematik, in den Hintergrund treten, die sich ergibt, sobald die Solisten Akustik freundliche Positionen aus dramaturgischen Gründen verlassen müssen. Die Stimmwucht der Solisten und des Chores ist gewaltig, wenn auch die feinen Nuancen verloren und Brittens unterschiedliche Musikstile etwas untergehen, weil das Kammerorchester größtenteils dezent im Hintergrund bleibt. Seine klangliche Schönheit wird nur im Instrumentalpart am Ende von „Dido and Aeneas“ hörbar.
Was nachhaltig bleibt sind faszinierende Szenen, mit denen Andreas Wiedermann die Libretti höchstdramatisch auflöst. Dem Chor, als Volk unterdrückt, steht dem das Wasser tatsächlich bis zum Halse, gleichzeitig schützt er im Kreisrund Didos und Aeneas´ Liebe.
©Andreas Wiedermann
Die Zauberin hohnlacht gespenstisch im gurgelndem Wasser, flankiert von den kichernden Hexen und dem Luftgeist auf der Tribüne, untermalt vom sonoren Basso Continuo und dem Chor als wuchtiges Echo. Wie „Pfeile der Lust“ springen Chormitglieder in das Wasser und produzieren eine wassermusikalische Variante. Und Brittens lakonische Bemerkung „Wer reitet, wird geritten“ entwickelt sich zu einer berührenden Vergewaltigungsszene, hervorragend gesungen und gespielt von Frauke Mayer und Torsten Petsch.
Ein besonderes Lob gilt Aylin Kaip für ihre stilsicher reduzierten Kostüme.
In weiteren Rollen wirkten mit Carolin Ritter, Vanessa Fasoli, Franziska Zwink, Herfinnur Árnajafal, Samuel Lawrence Berlad und Jorge Jimènez.
Michaela Schabel