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München – Mieczyslaw Weinbergs Oper „Die Passagierin“ in einer großartige Inszenierung in der Bayerischen Staatsoper

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München – Mieczyslaw Weinbergs Oper „Die Passagierin“ in einer großartige Inszenierung  in der Bayerischen Staatsoper

©Bayerische Staatsoper, Foto: Wilfried Hösl

Der letzte Satz in Mieczyslaw Weinbergs Oper „Die Passagierin“ verdichtet die Botschaft dieser Gedenk-Oper. „Wenn eure Stimmen verstummen, gehen wir zugrunde…“ Er selbst wurde zweimal mit dem Holocaust konfrontiert. Um nicht ins KZ zu kommen, floh er nach Russland, wo ihn die Freundschaft mit Schostakowitsch vor der Deportation schützte. Die Komposition „Die Passagierin“ im Rahmen der sowjetischen Erinnerungskultur war schon 1968 fertig, kam aber wegen der Befürchtungen, dass zwischen KZ und Gulag Assoziationen entstehen könnten, erst 2006 in Moskau zur Aufführung, 2010 war dieses Hauptwerk Weinbergs als szenische Inszenierung bei den Bregenzer Festspielen zu sehen. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen politischen Situation hat Vladimir Jurowski für die Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper alle Passagen sowjetischer Propaganda inklusive einer Kommunistin, die sie verkündete, gestrichen. Aus vier verschiedenen Perspektiven, den beiden Protagonistinnen, dem Chor und Orchester werden Opfer und Täter, Holocaust und das Leben danach beleuchtet. 

Lisa begegnet auf dem Schiff einer alten Frau, die ihr bekannt vorkommt. Es ist tatsächlich Marta, eine jüdische Gefangene, Häftling 7566 in Ausschwitz. Allen Verdrängungen zum Trotz tauchen jetzt Erinnerungen wieder auf, als sie Aufseherin im KZ war. Ihr Mann ist entsetzt. Eine BRD-Botschafter verheiratet mit einer Frau mit SS-Vergangenheit ist sein Ruin. Immer wieder fragt er, „und was geschah noch?“, womit er Lisas Glaubwürdigkeit unterminiert und sie zwingt sich mit der verdrängten Vergangenheit noch intensiver auseinanderzusetzen. 

Alexander W. Medwedews multilinguales Libretto ist nicht erfunden. Es basiert auf der autobiografischen Erzählung „Pasażerka“ von Zofia Posmysz, einer polnischen Jüdin, die Ausschwitz überlebte und das Gedenken an die Naziopfer zu ihrer Lebensaufgabe machte.

In München reduziert Regisseur Tobias Kratzer die 8 Bilder des Librettos auf zwei, in denen die Zeitebenen verschmelzen und sich hinter der Fassade des schönen Scheins eines Luxusdampfers und einem großen Festdinner immer stärker die Repressalien der Nazi-Vergangenheit in ihren psychotischen Auswirkungen enthüllen. Durch seine beiden ausgesprochen ästhetischen Bühnenbilder, zunächst auf sonnengefluteten Minibalkonen und im luxuriösen Ambiente der Kabinen, im zweiten Teil durch fünf weißgedeckte Tischreihen vor schwarzer Unendlichkeit im Hintergrund, weitet er das Geschehen in die Gegenwart, auch wenn die Kostüme, weißer Smoking und lange Damenhandschuhe auf die Eleganz der 1960er Jahre verweisen. Die Ästhetik des Luxus überlässt er der Bühne, dem Gesang der Musik die brachiale Gewalt des Schreckens, durchbrochen von Momenten lyrischer Hoffnung und Liebe bis in den Tod.

Egal wo Lisa ist, Marta dominiert ihr Denken und verwandelt sie in eine alte, von Schuld beladene, gebückte Greisin, die im ersten Teil ständig präsent Lisas Zukunft vorwegnimmt. Symbolisch taucht die alte Lisa über ein eingespieltes Video hinab in die Fluten als Sinnbild für das jahrelange Verdrängen, das sie schließlich tatsächlich in den Selbstmord treibt. Lichttechnisch wird das ganze Schiff mit deutschen Passagieren geflutet, Luxusmenschen ohne Erinnerungskultur, darunter auch zwei Ex-Soldaten, die sich aus Langeweile die Ostfront zurückwünschen. Immer stärker leuchtet die Vergangenheit beim abendlichen Dinner auf.

Opernkritik von Weinbergs "Die Passagierin" an der Bayerischen Staatsoper präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Bayerische Staatsoper, Foto: Wilfried Hösl

Schostakowitsch‘ berühmter Walzer leitet eine schrille Groteske ein, in der die Zeitebenen verschwimmen, Festgäste und Folterknechte bunt gemischt nur noch an den Kostümierungen zu erkennen sind. Marta, siebenmal multipliziert, Sinnbild für alle Häftlinge dominiert die Szenerie. Um jeden Preis will Lisa die stoische Haltung der „Lagermadonna“ brechen, sie und ihren Freund, den Musiker Tadeusz, zur Kolaboration manipulieren. Lisa scheitert. „Nicht ich, sie hat mich runtergekriegt.“ Als Tadeusz, bzw. Felix Key Weber als sein Double dahinter ein extrem hohes Geigensolo für die SS-Chargen spielt, breitet sich Ergriffenheit aus, die jeglichen Zwischenapplaus verbietet. 

Selten bohrt eine Oper in die Tiefe wie diese. Unter der musikalischen Leitung von Vladimir Jurowsky gelingt ein monumentales Werk zwischen brachialer Gewalt, tonalen Abgründen und lyrischen Momenten, deren Komposition man durch die Klangsymbolik der Instrumente intuitiv versteht. Wuchtige Paukenschläge, Sterbeglocken signalisieren das KZ-Inferno, Dissonanzen die emotionalen Traumata „der verkrüppelten Seelen“. In tiefen Tonlagen wird das Grauen hörbar, Klänge zuweilen wie Maschinenpistolen verdüstert durch den wuchtigen Chor als Kommentator. Rasante Tonlinien verdichten sich zu nervösem Raunen, das die Scheinwelt unterminiert. Extrem hohe Gesangslinien immer wieder abrupt in die Tiefe stürzend verdeutlichen die Ambivalenz zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Vladimir Jurowsky beherrscht die Kunst des Fortissimo klanglicher Transparenz, spannender Dynamik und Artikulation. Die Gesangspartien leuchten wie Raketen im Klanginferno auf, subtil vom Orchester untermalt. Sophie Koch als Lisa und Elena Tsallagova als Marta bringen die psychosomatischen Qualen ihrer Figuren sängerisch und schauspielerisch berührend auf die Bühne. 

Final blickt der Zuschauer wieder auf die Weite des Meeres mit einem anderen Bewusstsein, statt Fernweh mit dem bedrückenden Wissen des Darunter. „Und ewig der Schmerz“ wie es der Chor kommentiert. Martas Worte klingen nach. „Keine Vergebung – niemals.“ Im Libretto des Programmheftes gestrichen, in der Untertitelung dennoch zu lesen, gibt dieser Satz in der derzeitigen politischen Lage sehr zu denken. 

Künstlerisches Team: Vladimir Jurowski (Musikalische Leitung), Tobias Kratzer (Inszenierung), Rainer Sellmaier (Bühne, Kostüme), Michael Bauer (Licht), Manuel Braun, Jonas Dahl (Video), Christoph Heil (Chöre), Christopher Warmuth (Dramaturgie) 

Mit: Sophie Koch (Lisa), Sibylle Maria Dordel (alte Lisa), Charles Workman (Walter), Elena Tsallagova (Marta), Jacques Imbrailo (Tadeusz), Daria Proszek (Krystina), Lotte Betts-Dean (Vlasta), Noa Beinart (Hannah), Larissa Diadkova (Bronka), Evgeniya Sotnikova (Yvette), Bálint Szabó (1. SS-Mann), Roman Chabaranok (2. SS-Mann), Gideon Poppe (3. SS-Mann), Martin Snell (Älterer Passagier), Sophie Wendt (Oberaufseherin, Kapo), Lukhanvo Bele (Stewart), Felix Key Weber (Sologeiger) und Bayerisches Staatsorchester, Bayerischer Staatsopernchor und Statisterie der Bayerischen Staatsoper