©Bayerische Staatsoper, Foto: Bernd Uhlig
Bekannt für seine ausgefallenen Inszenierungen zeigt Krzysztof Warlikowski mit seinem Team einmal mehr sein Talent, überaus ungewöhnliche, überraschende Konzepte zu entwickeln und sie subtil, konsequent, sehr heutig umzusetzen.
Didos Palast verwandelt Malgorzata Szczęśniak in einen Doppelcontainer mit großen Glasfronten. Voyeuristisch blickt man frontal von außen hinein und gleichzeitig durch ein Live-Video aus einer schrägen Vogelperspektive. Das schafft Distanz zu den Figuren, die man wie in den Käfigen ihrer Begehrlichkeiten beobachtet, rundherum durch Projektionen ein Winterwald, der isoliert. Es schneit. Jeder ist allein und sehnt sich nach Wärme und Liebe. Aeneas ist auf der Flucht. Er kommt nicht mit dem Schiff, sondern mit dem Auto als Erlöser in diese kalte Einsamkeit. Noch einmal lässt sich Dido auf die Liebe ein und wird schnell wieder verlassen, weil die Götter, bei Warlikowski ein Pulk bunt zusammengewürfelter Partygänger, Aeneas an seine Eroberungspflichten erinnern, die er dann nicht nur kriegerisch wahrnimmt. Zerbrochene Gefühle und damit verbundene Aggressionen entladen sich im „Interlude“ durch elektronische Musik, Gesang und Streetdance, während das Orchester umgebaut wird und die Szenerie über Didos Zofe Belinda raffiniert zu Schönbergs „Erwartung“ transgrediert.
In Gold verpackt ist Victoria Randem als Zofe Didos von Anfang an die leuchtende sexy Sonne. Ihre reale oder auch imaginierte Verführung des Aeneas dreht die klassische Rollenverteilung der vom Mann verlassenen, todessüchtigen Frau um und legt sich wie eine Spiegelfolie auf Arnold Schönbergs Ehefrau, deren Untreue mit dem Freund der Familie, dem Maler Richard Gerstl, Schönberg ein Jahr später als Monodram verarbeitete.
In „Erwartung“ dekliniert Schönberg die Vorfreuden und Ängste eines hocherotischen Liebesabenteuers einer Frau als musikalische Achterbahn der Gefühle durch. Gesungen aber von Dido-Darstellerin Aušrinė Stundytė gelingt ein raffiniertes Ineinandergleiten der beiden Rollenverständnisse der selbstbestimmten Frau in „Erwartung“ eingetrübt von traditionellen Moralvorstellungen, Selbstzweifeln und Eifersuchtsgedanken Didos. Im realen Leben brachte sich der Liebhaber von Schönbergs Frau um. In Warlikowskis Version erschießt die Frau, immer noch verhaftet in Didos Todessehnsucht, Belinda, Aeneas und sich selbst und löscht damit die archetypische Dreiecksgeschichte aus. Im Leben dieser beiden Frauen scheint sich bei genauerer Betrachtung also nicht so viel geändert zu haben, so Warlikowskis Botschaft. Ob treu oder untreu, beide Frauenschicksale sind tragisch.
Doch der musikalische Wandel, der sich durch die Kombination dieser beiden Miniopern, ohne Pause zusammen nur eineinhalb Stunden lang, zeigt, ist enorm und ein Wendepunkt in der Musikgeschichte.
Henry Purcells einzige Oper ist keine überragende Barockoper. Aber unter dem Dirigat von Andrew Manze bekommt sie einen gewissen Drive, wodurch die etwas gleichförmige Komposition ohne große Koloraturarien an Attraktivität gewinnt. Andrew Manze kristallisiert sehr klar die Rhythmik und Klangfarben heraus, akzentuiert durch schnelle Crescendi, gibt SängerInnen viel Raum sich stimmlich zu entfalten. Der Chor im Orchestergraben verortet, wirkt trotz kleiner Besetzung sehr kraftvoll, kommentiert das Geschehen allegorisch. Da die Arien durchwegs in den hohen Tonbereichen angelegt sind, kommt der sehr kurze Part des Aeneas mit Günter Papendells Bariton bestens zur Wirkung.
Barockmusik mit E-Gitarre und Songs weiterzuführen ist schon mutig, funktioniert aber tatsächlich nahtlos, genauso der Sprung zu Schönbergs bizarren Tonsprüngen, die aus späterer Perspektive betrachtet bereits seine Wende befreit von den bislang tradierten harmonischen Klangstrukturen hin zu seiner neunen atonalen Musik vorbereiten. Fast nur für Streicher komponiert, werden Noten hier zur reinen Expression ständig wechselnder Gefühle von orgiastischer Hingabe bis zu schrecklichen Angstphobien.
Großartig singt Aušrinė Stundytė beide Partien. Im Gegensatz zu ihrer Optik neben der sexy gestylten Belinda in blassen Farben eine dezent funkelnde, sehr frauliche Herrscherin bringt ihr Gesang alle emotionalen Facetten zum Leuchten. Der Pulk von Göttern, Zauberer und Hexen agiert als bunter Knaller durchwirkt von altmodischen Revuekostümen die höhere Mächte als simples Partyvolk ironisieren.
Dramaturgische Highlights sind dagegen die Videoszenen, in anderen Inszenierungen oft sehr aufgesetzt und nervig, unterstreichen und intensivieren in Warlikowskis Inszenierung substantiell die Emotionalität des Geschehens. Statt zu flimmern, längen und intensivieren sie wie die Musik den Augenblick zum Seinszustand. Im dichten Wald eröffnet sich in „Erwartung“ ein breiter verschneiter Weg, den zeitlich versetzt Hirsch und Hirschkuh ungefährdet queren. Die symbolische Naturidylle verwandelt sich in einen vereisten Tunnel mit immer grelleren, dichteren Graffities zu einer rasanten Rennstrecke ohne das erlösende Ziel, den Ausblick in die Helligkeit zu erreichen.
©Bayerische Staatsoper, Foto: Bernd Uhlig
Mord und Suizid ist wie ein Amoklauf die Schlussrealität, ein wechselseitig bedingter Untergang von Tradition und Emanzipation.
Das ist ein Opernprojekt, mit dem man Türen öffnen kann für ein interessiertes junges Publikum, für das Verständnis moderner Musik und die Toleranz, dass beides seinen Stellenwert hat und durch Synergieeffekte ganz neue Einsichten bewirkt.
Künstlerisches Team: Andrew Manze (Musikalische Leitung), Krzysztof Warlikowski (Inszenierung), Malgorzata Szczęśniak (Bühne und Kostüme) Felice Ross (Licht), Kamil Polak (Video), Claude Bardouil (Choreographie) Stellario Fagone (Chor), Christian Longchamp, Katharina Ortmann (Dramaturgie)
Es singen und spielen : Aušrinė Stundytė (Dido/Eine Frau), Günter Papendell (Aeneas), Victoria Randem (Belinda), Rinat Shaham (Venus), Key’mon W. Murrah (Sorceress), Elmir Karakhanova (First Witch) mit dem Chor und Opernballett der Bayerischen Staatsoper und dem Bayerischen Staatsorchester