©Bayerische Staatsoper, Wilfried Hösl
Die Bühne bekommt zwei Zusatzpodeste für parodistische Hintergrundintermezzi und Kabarett-Auftritte Giudittas, dazu ein intimes Kabinett auf der rechten Bühnenseite, um die Distanz zwischen den Menschen zu verdeutlichen. Trotz der Grün-Türkis-Töne wirkt das alles fad, genauso wie die Kostüme in ihren ihren schrägen Schnitten und Farben. Natürlich soll das alles inklusive des choreografischen Gehampels parodistisch sein, aber gerade die tänzerischen Stereotypen, mögen sie noch so artistisch und akrobatisch sein, nerven, ständig präsent, ohne Ende. Dabei bleibt Lehárs Operette vollkommen auf der Strecke.
Mit „Giuditta“, 1934 an der Wiener Oper uraufgeführt, gelang dem Operettenkomponisten Lehár endlich die lang ersehnte Anerkennung in der Oper präsent zu sein. Selbst zum ersten Mal am Dirigentenpult mit Starbesetzung und opernuntypischer Instrumentation war das Publikum begeistert, wurde allerdings im Nachgang von Mussolini abgelehnt, von den Nazi vorerst verboten, weil Dissertation der Liebe willen auch auf der Bühne nicht geduldet wurde.
Hauptmann Octavio verliebt sich kurz vor seiner Abreise nach Afrika in Giuditta. Sie verlässt ihren Mann, dann Octavio, weil ihm der Krieg wichtiger ist. Sie wird eine berühmte, umschwärmte Tänzerin, er degradiert zum ausgebrannten Barpianisten. Als sie sich später in einem noblen Hotel begegnen, kann ihn Giuditta nicht mit ihrer nie erloschenen Liebe erreichen. Sein Leben ist zerstört und damit auch ihres.
Damit wird die Operette tragisch wie eine Oper. Das frivole Operettenende hat ausgedient. Gleichzeitig gewinnt das leichte Genre durch opernaffine Instrumente wie Bassklarinette, Basstuba, Kontrafagott und Flügelhorn, Einflüsse des Verismo und der Filmmusik an musikalischer Tiefe.
Doch Marthaler gibt Lehárs Musik überhaupt keine Chance sich in dieser neuen Konstellation zu entfalten, unterminiert sie mit den abgründigen Passagen Alban Bergs und Erich Wolfgang Kornfelds, wodurch Lehárs Melodien extrem oberflächlich erscheinen. Daniel Behle ist als Octavio eine Fehlbesetzung. Man vermisst das heldische Volumen in der Höhe, die Resolutheit in der Tiefe. Er kann sich zuweilen gegenüber dem Orchester kaum durchsetzen, was natürlich ins parodistische Konzept passt, aber einmal mehr die Inszenierung verblassen lässt.
©Bayerische Staatsoper, Wilfried Hösl
Selbst Vida Miknevičiūte, die als Giuditta alle Musikstile großartig, weich fließend, aber auch markant abgründig zu interpretieren weiß, kann unter dieser ironisch ausgerichteten Regie in ihren weiblichen Charme nur in wenigen Szenen in ihren weiblichen Charme entwickeln, wobei das tänzerische Tingel-Tangel eher peinlich als witzig ist.
©Bayerische Staatsoper, Wilfried Hösl
Beim zweiten Liebespaar auf sozial tieferer Ebene agiert Kerstin Avemo als Anna mit Verve als idealistische Stehauffrau mit vermeintlichem Durchblick, denn Sladek, ihr Liebster „kann nicht lieben, nur lieb sein“, stimmt ihrer Ermordung zu.
©Bayerische Staatsoper, Wilfried Hösl
In dieser Rolle wird Sebastian Kohlhepp zum hirnlosen Mitläufer degradiert statt ihn im Sinne von Alban Bergs Wozzecks als geschundene Figur zu zeigen. Aber Marthaler bringt trotz konzeptioneller Tiefe nur platte Oberflächen auf die Bühne, in denen die markigen Sätze des Librettos wie „In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht“ trotz Wiederholung ihre Wirkung verlieren.
Blendet man die Bühne aus, hat man wenigstens den Genuss der Musik. Unter dem Dirigat von Titus Engel lässt das Bayerische Staatsorchester überaus flexibel und empathisch dieses facettenreiche Kaleidoskop von Musikstilen aufleuchten. Den ohnehin spärlichen Zwischenapplaus erhalten aber konträr zur beabsichtigten Operettenparodie genau die Herz-Schmerz-Lehárpassagen. Dass sich nach der Pause die Reihen lichten, ist nachvollziehbar. Wer sich musikalisch nicht so auskennt, ist von dieser Konzeption völlig überfordert, zumal sich das Programmheft mit einer Auflistung der collagierten Stücke begnügt, statt sie im Libretto zu vermerken.
Künstlerisches Team: Titus Engel (Musikalische Leitung), Christoph Marthaler (Inszenierung), Joachim Rathke (Mitarbeit Inszenierung), Anna Viebrock (Bühne, Kostüme), Michael Bauer (Licht), Dramaturgie (Malte Ubenauf, Katharina Ortmann)
In den Hauptrollen: Vida Miknevičiūte (Giuditta), Daniel Behle (Hauptmann Octavio), Kerstin Avemo (Anna), Sebastian Kohlhepp (Sladek)