München – Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“ großartig inszeniert an der Bayerischen Staatsoper

Opernkritik Benjamin Britten "Peter Grimes" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Wilfried Hösl

Unter der musikalischen Leitung von Edward Gardner, Chefdirigent des London Philharmonic, Orchestra, und der Regie Stefan Herheims gelingt eine atemberaubende Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper. Man könnte natürlich einwenden, ist nicht ein Mensch, der mutwillig ein zweites Mal das Leben eines Kindes der Todesgefahr aussetzt, schuldig. Doch Regisseur Stefan Herheim weiß überaus effektvoll den Jungen als Metapher für Brittens Homosexualität zu visualisieren, obwohl sich darüber keinerlei Anspielungen im Libretto finden. Damit lenkt Herheim mit seinem künstlerischen Team den Blick von den äußeren Naturgewalten auf die inneren Peinigungen und gibt der Oper den nötigen psychologischen Unterbau und den religiösen Rahmen der Vater-Sohn-Beziehung, ohne den die Handlung lange nicht die Wucht wie in dieser Inszenierung hätte. Ganz deutlich wird dies, als der Junge aus dem Waisenhaus im weißen Anzug der Unschuld den Gang zum sonntäglichen Gottesdienst verweigert, sich wie das Lamm Gottes auf einen Stein legt, er trotz blauer Flecken am Hals, die von Grimes Grobheit künden, mit ihm geht. Während die Dorfbewohner in der Kirche mit dem Rücken zum Publikum auf das Meer hinausblicken, blubbert das Wasser via Video in schwarzen Schlieren nach oben. Gleichzeitig gleitet der Junge ganz in Weiß nach unten.

Immer wieder verblüfft Herheim mit derart charismatisch wuchtigen, auch sinnlichen Szenarien, die durch die raffiniert multifunktionale Bühne (Silke Bauer) und naturgewaltigen Videos (Torge Møller) nahtlos ineinandergreifen.

Opernkritik Benjamin Britten "Peter Grimes" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Wilfried Hösl

Eine Springflut scheint das ganze Dorf zu überfluten. In der rot schimmernden Kneipe zeigen die Dorfbewohner zunehmend alkoholisiert ihr wahres Gesicht enthemmt bis zum Oralsex im Tete-a-Tete zu Dritt. Am Strand wird getanzt und gefeiert, während die Musiker der Jazzband live auf der Bühne in ihren Glitzeranzügen durch Totenmasken (Kostüme, Esther Bialas) satirisch auf die bevorstehende Tragik verweisen. Plakativ wie in einem Märchen strahlt Grimes noch eimal auf dem Meer in seinem Boot. Doch sein Schiff erweist sich als Pappkulisse und zerfällt in Stücke wie sein ganzes Leben. 

Formieren sich anfangs die Menschen im Dorf zu zwei Gruppierungen, dünnen die Freunde Grimes ganz schnell aus. Eingefrorene Szenenbilder, eingebettet in atmosphärisches Zwielicht (Michael Bauer, Licht) verdeutlichen immer wieder „alle gegen eine“. Seine Freundin Ellen wirkt zunehmend hilflos. Als Frau hat sie keinen Einfluss auf Grimes, obwohl er ihrer so stark bedarf. Für ihn steht die Vater-Sohn-Beziehung im Vordergrund. 

Opernkritik Benjamin Britten "Peter Grimes" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Wilfried Hösl

Genau so großartig wie das Bühnengeschehen ist der Klang aus dem Orchestergraben. Ganz klar arbeitet Edward Gardner Brittens kaleidoskopische Partitur zwischen Impressionismus und Avantgarde, kraftvollen Soli und Chorpassagen heraus. Die großen und kleinen Melodielinien leuchten wie Schaumkronen immer wieder in rhythmischer Wiederholung auf. Volkslieder und Musicaldrive klingen an. Im liturgischen Gesang wird der Totenmarsch schon hörbar. Gardner setzt die lautmalende Magie der Musik theatralisch in Szene, so dass Herheim selbst die gesanglosen Partien effektvoll beleben kann. Der Chor (Stellario Fagone) zeigt trotz Gesichtsmasken ganz großes Format. Die Sänger und Sängerinnen, allen voran Stuart Skelton in der Titelrolle als brachialer, ambivalenter Antiheld und Rachel Willis-Sørensen als mütterlich und pädagogisch fürsorgliche Freundin Ellen übertrumpfen stimmlich alle Stürme, selbst die orchestralen Fortissimi. 

Künstlerische Team: Edward Gardner (Musikalische Leitung), Stefan Herheim (Inszenierung), Silke Bauer (Bühne), Esther Bialas (Kostüme), Michael Bauer (Licht), Torge Møller (Video) Stellario Fagone (Chor), Alexander Meier-Dörzenbach, Malte Krasting (Dramaturgie)

In den Hauptrollen singen Stuart Skelton (Peter Grimes), Rachel Willis Sørensen (seine Freundin, Ellen Orford), Iain Paterson (Captain Balstrode)