Landshut/Passau – Puccinis „Madama Butterfly“ im Landestheater Niederbayern in einer ganz speziellen Version

Opernkritik "Madama Butterfly" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

In der amerikanischen „Butterfly Bar“ arrangiert Cio Cio Sans Sohn noch einmal die Liebesgeschichte seiner Mutter, einer Geisha, die in Japan nach alter Tradition kurzfristig mit einem amerikanischen Marineoffizier verheiratet wurde, für ihn ein Abenteuer, für sie die Lebensliebe. Durch diese Rahmenhandlung gewinnt  die Inszenierung Jonathan Lunns und Amir Hosseinpours eine interessante Vielschichtigkeit zwischen Distanz und Nähe,  Erinnerung, Traum und Realität, darüber hinaus über die Diskrepanz von westlicher und östlicher Kultur. 

Mit Fotografien und Requisiten aus einem alten Koffer taucht Tänzer Uli Kirsch als Sohn in die Vergangenheit seiner Herkunft ein, die vor einem großen fächerförmigen Paravent lebendig wird. Er wird zum Arrangeur und Mitspieler, entlarvt durch sein Spiel das Doppelleben seines Vaters, der in den USA eine zweite Ehe führte und Cio Cio San nur „als süßes Spielzeug“ sieht. Er umgarnt  seine grenzenlos geliebte Mutter mit roten Bändern, verwandelt sich auf Knien mit Babyfoto in den kleinen Sohn und fühlt in expressiven Sprechszenen mit Texten aus Rilkes „Stundenbuch“ und pantomimischen Tanzsequenzen der vermissten Mutterliebe nach.

Was auf der Bühne simultan passiert, intensiviert sich nicht nur über die mimischen Großformate wie in vielen zur Zeit zu sehenden Live-Streams, sondern bekommt durch filmische Überblendungen der vier Kameras immer wieder eine spannende Tiefenschärfe. Cio Cio San hat gegen ihre amerikanische Konkurrentin, strahlend wie ein Kosmetikmodel überlebensgroß projiziert genauso wenig Chancen wie die japanische Tradition gegenüber dem westlichen Kapitalismus. Das ist die latente Botschaft dieser Inszenierung. 

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©Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Yitian Luan in der Titelrolle überrascht durch ihr faszinierendes Tonspektrum, ihre hauchzarten, unangestrengten Höhen und extrem große Empathie für diese Rolle, in der sie alle Facetten der Liebe zwischen Glück und Leid in subtiler Intonation und beseelter Klangschönheit zum Ausdruck bringt. Sie ist stimmlich und mimisch eine durch und durch liebende Braut, ruht sehr authentisch in dieser Rolle, lyrisch zart in den Eingeständnissen ihrer Liebe in schwebender Leichtigkeit bis hinauf in das hohe C, resolut in ihrer Entschlossenheit zum Selbstmord. Jede Arie ist ein Genuss sängerischer Hingabe. Jeffrey Nardone, zeichnet den Marineoffizier sympathischer als das Libretto vorgibt, in dem er das „Geschwätz der Frauen . Er findet für diese Liebe in mittleren Lagen mit viel Italianità eine adäquate Balance, muss aber zuweilen in den Höhen zu sehr forcieren, was zuweilen auch die Duette beeinträchtigt. 

Puccinis Mischung westlicher und asiatischer Musik setzt sich fort in den reduzierten, doch sehr gut besetzten Nebenrollen. Butterflys Dienerin Suzuki wird mit Reinhild Buchmayer amerikanisiert. Umgekehrt bekommt der amerikanische Konsul durch Kyung Chung Kims klangvollen Bariton  asiatische Würde, hinter der sein tief empfundenes  Mitgefühl für  Cio Cio Sans Tragik spürbar wird.

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©Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Heeyun Choi mächtiger Bass gibt dem Onkel furchterregende Qualität. Seine Verbannung Cio Cio Sans wirkt wie ein Fluch, der sich schließlich bewahrtet. Cio Cio San fühlt und handelt traditionell. „Ehrenhaft sterbe, wer nicht in Ehre leben kann.“

Sängerisch für ein Opernhaus dieser Größe sehr beachtlich, kann die musikalische Gestaltung nur als Experiment aus der Not bewertet werden. Aus Pandemiegründen entschied sich Generaldirektor Basil H. E. Coleman gegen ein Orchester, dass Puccinis großes Format wegen der Hygienevorschriften ohnehin nicht realisierbar gewesen wäre. Im täglichen Improvisieren mit zwei Flügeln (Basil H. E. Coleman, Kyung A. Jung) und Synthesizer  (Bernd Meyer) konnte die Klangwelt Puccinis nachgestellt werden, sogar die Chorpassagen. Doch das Ergebnis klingt mehr wie ein Filmsound. Selbst wenn man berücksichtigt, das Puccini selbst die asiatischen Melodien nur von einer Ton-Box kannte und sie entsprechend flirrend umsetzte, fehlt  die musikalisch filigrane Verwebung, die Exaktheit der Einsätze, die klangliche Atmosphäre des Originals, der herzzerreißende Klang eines Live-Orchesters.