Die Bühne ist klein. Zwei in sich geschachtelte Guckkästen, schaffen den Rahmen für das Spiel Bestens besetzt steht allein der Belcanto im Mittelpunkt. Wie durch den Sucher der Kameras gezoomt schiebt sich die Bühne nach vorne und zieht durch extravagant reduziert Bühnenbilder in ihren Bann. Ein Großteil der Szenen spielt im überdimensionierten, bühnenweiten Doppelbett. Hier fallen die wichtigen Entscheidungen.
©Peter Litvai
Hier baut sich gerade wegen der minimalistischen Inszenierung eine subtile Spannung zwischen erotischer Ausstrahlung und ironischer Verfremdung auf, wenn der König Hähnchenkeulen aus dem Fastfood-Körbchen futtert.
Sechs Frauen hatte Henry VIII. In Donizettis Oper „Anna Bolena“ geht es um die zweite und die dritte. Wegen der Heirat mit Anna Bolena, der Mutter der legendäre Königin Elisabeth I, kam zum Bruch mit der katholischen Kirche. Wegen zweier Fehlgeburten mit Söhnen fiel sie bald in Ungnade. Längst hatte der König schon Anna Bolenas Hofdame Giovanna Seymour im Visier. Damit sie die neue Königin werden kann, wird Anna Bolena durch eine Intrige zum Schafott verurteilt. Als die Hochzeitsglocken läuten, verfällt Anna Bolena kurz dem Wahnsinn, verzeiht großmütig und wird hingerichtet.
Es ist das Verdienst vor allem der beiden Hauptdarstellungen, dass die Oper zum Belcanto-Ereignis wird.
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Die ukrainischen Mezzosopranistin Irina Zhytynska von der Oper Breslau offeriert durch Gesang und Spiel viele Facetten der ehrgeizigen Hofdame Giovanna Seymour. Wie ein Dessous-Model weiß sie den König zu betören, ist Katze und Schlange, wandelt sich von der berechnenden Karrieristin im Hintergrund zur reumütigen Frau und endet als gebrochene Braut, nur noch Attrappe für das jubelnde Volk, dass sich mit der äußeren Fassade zufrieden gibt. Mit kraftvollen unangestrengten, dynamisch subtil interpretierenden Koloraturen spiegelt Irina Zhytynska die emotionalen Wechselbäder dieser Figur.
Yitian Luan gibt mit ihrem voluminösen Koloratursopran Anna Bolena die Kraft und das Standvermögen einer aufrechten, sich emanzipierenden Königin, die lernt loszulassen, zu ihren Gefühlen zu stehen und zu verzeihen. Grandios oszilliert Yitian Luan zwischen Pianissimo und furiosen Forte, dem Wahnsinn nahe überfunkelt sie selbst in den heftigsten Tutti.
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Guido Jentjens Bass zeichnet König Enrico VIII nach durchaus sympathischen Einstieg immer mehr als rücksichtslosen Machtmenschen heutiger Tage. Von Anna Bolenas Verehrern sticht Smeton heraus, von Reinhild Buchmayer burlesk fröhlich als bis über beide Ohren verliebter Jüngling interpretiert. Victor Campos Leal meistert die extrem schwierigen Partie des Lord Percys, Anna Bolenas erste Liebe, mit tenoralen Schmelz, wenn auch zuweilen mit stimmlicher Anstrengung. Für die Ensemblemitglieder Jeffrey Nardone, Vertrauter des Königs, und Yung Chun Kim, Bruder der Königin, bleiben nur kleinen Partien, wobei von der Regie die inzestuöse Beziehung, die eigentlich gut ins Paparazzi-Bild gepasst hätte, ausgespart bleibt. Dafür ist das Volk in seinem Verhalten nicht weniger opportunistisch und sensationssüchtig als die Paparazzi bestens getroffen. Angesicht der glamourösen Hochzeit werden Intrigen, Rechtsbruch und Ermordung Anna Bolenas schnell vergessen.
Die Niederbayerische Philharmonie unter der Leitung von H. E. Coleman überrascht durch das große dynamische Spektrum, mit wunderbaren Pianissimo, von Anfang an ganz im Dienst der Sänger. Geigen, Hörner, Querflöte, Oboen kristallisieren die Seelenstimmungen sehr subtil heraus. Er beschränkt die Forti auf die Zwischenspielen und Ensemble-Tutti mit dem gut integrierten Chor.
Michaela Schabel