"Kultur macht glücklich"


Im Rückblick – Salzburg – Mozarts „Don Giovanni“

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Im Rückblick – Salzburg – Mozarts „Don Giovanni“

©Salzburger Festspiele, Monika Rittershaus

Tauben gurren draußen vor der Kirche, drinnen marschiert ein Bautrupp auf, räumt inklusive Altarbild alles aus. Die kirchliche Moral hat ausgedient, kündet Bühnenperformer Romeo Castellucci, verantwortlich für Regie, Bühne, Kostüme und Licht. Mit Teodor Currentzis und seinem musicAeterna Orchestra und Chor stehen hinter der neuen Salzburger „Don Giovanni“-Inszenierung zwei absolute Perfektionisten. 

Die Oper ist in jeder Beziehung neu gedacht, bis ins kleinste Detail perfekt umgesetzt und weitet Musik und Bühne zu einem atmosphärisch synoptischen Erlebnis mit vielen symbolischen Anspielungen. Ein Meisterwerk der besonderen Art gelingt. 

Romeo Castellucci will Don Giovanni nicht wie üblich auf den Frauenverführer reduzieren, sondern bringt ihn als rätselhaft suchende Figur auf die Bühne. Raffiniert chargiert Castelluccis Don Giovanni  zwischen äußerer Komik und innerer Tragik. Doch trotz aller Regelübertretungen fällt er den anerzogenen Denkbegrenzungen zum Opfer. Der Komtur ist nichts anderes als Don Giovannis innere Stimme. 

Das Gotteshaus, Institution der Moral, ist vorerst verödet.

Openrkritik "Don Giovanni" in Salzburg präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Salzburger Festspiele, Monika Rittershaus

Ein junger Ziegenbock, Don Giovanni antizipierend, rennt über die Bühne. Eine Flammenlinie als Vorbote des Höllenfeuers erlischt schnell. Die Hölle ist tot. Erotik ist angesagt. Nackt wird eine Statistin zum Sinnbild von Don Giovannis Begehren. 150 Salzburger Frauen in fließenden, farblich subtil chargierenden Kleidern in grandiosen Formationen spiegeln später Don Giovannis unstillbare Lust und endlose Suche nach Befriedigung. 

Nach und nach geht allerdings zunächst alles in die Brüche. Ein Limousine kracht von oben auf die Bühne, Statussymbol des Frommschen Habenwollens. Später donnert ein Flügel herab. Basketbälle verweisen auf die Zufälligkeit des Spiels mit der Liebe. Ein Jonglierbalance gelingt nur wenige Augenblicke und der Rollstuhl, Symbol für das Alter, knallt ebenfalls hart auf.

In diffuses Licht getaucht verwischen die Kirchenstrukturen hinter Gazestofffluten. Jetzt beginnt Don Giovannis Liebesleben. Es wirkt wie eine Halluzination im freien Raum ohne chronologische Zeiteinteilung mit Rückblenden und ständigen Vorwegnahmen des Künftigen durch symbolische Details. Tänzerinnen in schwarzen Kleidern und Schleiern umschwirren ihn wie Todesbotinnen, doch schnell lichtet sich die Szenerie, das völlig frei von üblichen Kulissen auf das dramaturgische Spiel fokussiert, wobei Davide Luciano als Don Giovanni und Vito Priante als Leporello, beide in Weiß, schauspielerisch mit Bravour präsent sind, Leporello wie das Alter Ego seines Herren wirkt, nur dass er nicht wagt, was der andere sich herausnimmt. Requisiten unterstützen witzige Wirkungen. Tänzerische Einlagen intensivieren emotionale Stimmungen. Parallelsituationen spiegeln konträr zu den Arien, wie sich das Geschehen auch zugetragen haben könnte. 

Aus der Besetzung glänzt allen voran Nadezhda Pavlova als Donna Anna. Ihr lyrisch glühendes Stimmcharisma passt exzellent zum Edelmut dieser Figur, offenbart die latent hingebungsvolle Leidenschaftlichkeit Donna Annas, was angesichts ihres brav biederen Octavio nicht verwundert. Mit Federica Lombardi gewinnt Donna Elvira, im grünen Kleid die Hoffnungsträgerin, die Ausstrahlung einer starken Frau. Sie kämpft trotz aller Wechselbäder der Gefühle unerschrocken zuerst schwanger gegen, dann mit einem kleinen Sohn an der Seite für ihre große Liebe, wobei hier auch die sozio-ökonomischen Zwänge offenbar werden.  Anna Lucia Richters heller Sopran gibt Zerlina einen wunderbar mädchenhaft wagemutigen Charakter, durch und durch „vorrei“, weniger „e non vorrei“. Alle drei sind sie wie Don Giovanni Suchende, die im Bann der Erotik moralische Regeln über Bord werfen. Über die Liebe finden diese Frauen, emanzipatorisch versetzt, ein klares Profil, das sie aus dem schemenhaften Existentialismus der Bühnenatmosphäre klar heraushebt.

Überaus stringent und vielschichtig inszeniert, erstklassig musikalisch präsentiert, fragt man sich, warum dieses Meisterwerk insgesamt doch so wenig berührt? Es ist das Übermaß an immer neuen perfekt inszenierten Projektionsoberflächen, in die das Geschehen surreal abgehoben eintaucht. Das Auge ist mit der Aufschlüsselung der Chiffren beschäftigt. Dürers „Hase“ wird zum Symbol, wie Frau gejagt wird, getoppt von Petrus Christus´ „Porträt einer jungen Dame“, das, symptomatisch für Don Giovannis dysfunktionales Denken, auf den Kopf gestellt wird.

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©Salzburger Festspiele, Monika Rittershaus

Eine Ratte rennt aus dem schützenden Behälter, der längst in ein Gefängnis mutiert ist. 

Angesichts dieser grandiosen Bildwelten wirkt Davide Lucianos Bariton eher blass. Selbst Mika Kares  als Komtur, der aus dem Orchester singt, was wie aus dem Off wirkt, bleibt matt, was zwar konzeptionell stimmig ist, aber der Schlusssequenz die sängerische Wucht nimmt, mit der diese Bassrolle bislang rezipiert wurde. Don Octavio dagegen, von Michael Spyres beeindruckend durchdringlich als „schöne Seele“ gesungen, wird durch parodistisch heldenhafte Kostümierung der Lächerlichkeit preisgegeben. Das Herumwandeln der Salzburger Bürgerinnen als Personalisierung von Don Giovannis „1003“ Liebschaften ist zweifelsohne eine originelle Idee, Bühne und Alltag zusammenzuführen, verwandelt aber die Szenerie zum ritualisierten, arg langatmigen Weihespiel.

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©Salzburger Festspiele, Monika Rittershaus

Mit dreieinhalb Stunden Spielzeit und einer immer stärkeren existentiellen Verschleierung des Bühnengeschehens wird die Inszenierung eine Herausforderung, zumal Teodor Currentzis Mozarts in allen Facetten die Tempi bis auf das Äußerste auslotet, extrem retardiert, um Zeit und Raum für die tiefenpsychologische Zeichnung gibt.

Sein Dirigat ist in jeder Beziehung außergewöhnlich, profund durchdacht. Gesang und Orchester verschmelzen in groß angelegtem Atem mit extremen dynamischen Wechseln. Das ist Mozart wie unter einem Vergrößerungsglas in neuer Klangqualität herausfordernd und zuweilen auch anstrengend.