Seit 2001 steht die chinesische Oper auf der Liste des UNESCO- Weltkulturerbes. Die Kunqu-Oper, das Singspiel aus Kunshan, ist die älteste Oper China und reicht 600 Jahre zurück bis in die Ming-Dynastie. Sie ist ein Gesamtkunstwerk von Theater, Poesie, Pantomime, Gesang und Musik, unheimlich artifiziell. Die chinesische Sprache ist eine tonale Sprache und jede Silbe muss einem Ton entsprechen, Text und Musik müssen deshalb genau harmonisieren. Es gibt Dramatiker, aber keine Komponisten. Die Lieder stammen aus der Volkskunst, wurden typisiert.
Das Manderinchinesische, in der Bühnensprache noch viel stärker als im Alltag akzentuier, wirkt extrem exaltiert, durch das poetisches Umspielen durch Pantomime, Tanz sehr poetisch und durch lyrische natursymbolische Libretti natürlich.
Dieser Spagat zwischen extrem typisierter Exaltiertheit und emotionaler Natürlichkeit gelingt nur ganz speziellen Darstellern. Über zehn Jahre dauert die Kunqu-Ausbildung inklusive Sprechfertigkeit, Gesang, Akrobatik, Schritttechniken, Tanz, Rollentypen. Jede Bewegung, jeder Ausdruck, jeder Blick ist stilisiert. Es geht allein darum das Wesentliche zu zeigen. Und das gelingt nur, wenn Darsteller absolut genau, sehr schön und rhythmisch nach dem Spiel von Bambusflöte und Gong, den beiden Hauptinstrumenten, agieren.
©Shanghai Kunqu Opera Company
In einer Kooperation mit den Berliner Festspielen gelang es der Kunqu Opera Company den Dramenzyklus „Die vier Träume aus Linchuan“ von Tang Xianzu an einem Wochenende in vier einzelnen Opernaufführungen zu jeweils zweieinhalb Stunden zu zeigen. 30 Darsteller und 25 Musiker entführten in die Kultur Chinas. Tang Xianzus (1550-1616) humanistischer Ansatz kombiniert mit höchster Ästhetik gilt in China als „Meilenstein des Theaters“. In Berlin steigerten sich nach anfänglichen etwas zurückhaltendem Interesse für den „Traum von Handan“ die Besucherzahlen bei der „Purpurnen Haarspange“, „Dem Traum unter dem Südzweig“ und gipfelte in einem bejubelten, fast ausverkauften „Pfingstrosengarten“, dem Höhepunkt des 4-teiligen Opernzyklus.
Hier stirbt eine schöne junge Frau, weil sie den Geliebten ihrer Träum im Leben nicht finden kann. Ihre Liebe ist so stark, dass ihr Geist auch nach dem Tod weitersucht, ihre Liebe tatsächlich den Liebsten findet und auf die Erde zurückkehren darf, um diese Liebe zu leben.
Vor wechselnden strahlend monochromen Farbhintergründen in traditionell seidenen, kostbar bestickten Kostüme mit überlangen Ärmeln entwickeln Shen Yili und Li An in den Hauptrollen ein Meisterwerk subtiler Expression, das in ihrer parodistischen Fröhlichkeit und stimmlichen Exaltiertheit, zuweilen ein wenig an die Commedia dell´Arte erinnert, durch die maskenhafte Typisierung und im tänzerischen Ausdruck zwischen verführerischem Spiel mit Fächer, temperamentvollem Schwingen der Ärmel, Trippelschritten und stilisierten Sterben und Auferstehen durch asiatische Exotik in seinen Bann zieht.
Emotionen und Intonationen bewegen sich ständig zwischen den Extremen, zwischen schrill hohem Erstaunen, narzistischer Bespiegelung der eigenen Schönheit, intensiviert durch Vergleiche mit der Natur und einer zarten Traurigkeit im Wissen die eigenen Ideale nicht verwirklichen zu können. Hinter den zahlreichen Blumen- und Naturmetaphern enthüllt sich die Einengung des Lebens durch ritualisiert vorgegebene Lebenswege. Nur im Traum kann schöne junge Frau, die feudalen Gesellschaftsnormen brechen und ihr Ideal leben und realisieren. Verständlich wird das alles durch das exzellent übersetzte, dezent an den Seitenwänden projizierte Libretto.
Shen Yili und Li An spielen zusammen mit einer kecken, quirligen Dienerin und sechs Tänzerinnen diese einfache Geschichte mit einer derartigen tänzerischen und mimischen Anmut, dass man ihrem Charme erliegt und in diese ganze fremde Musikalität mit ihrer für unsere Ohren sehr monotone Melodien und Rhythmen von Trommeln und Becken, Bambusflöten, Kniegeigen Mundorgel, Laute , Wölbbrettzither eintaucht und selbst wie aus einem Traum erwacht.
Michaela Schabel