Berlin – Verdis „Aida“ an der Staatsoper als Spiegel menschlicher Unterdrückung 

Opernkritik "Aida" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Hedwig Pammer

Calixto Bieìto führt in erster Linie über die Bühne Regie. Ganz in weiß gehalten wird sie zum Laborraum, in dem über wohl dosierte Installationen, dokumentarische Videoprojektionen die Hochphase des Imperialismus vor dem Hintergrund der Industrialisierung zu Verdis Zeiten bis in die Gegenwart wie Folien übereinander gelegt werden. Ein gigantisches, aus T-Shirt genähtes abstraktes Altarbild hebt die Bedeutung der Götter und Priester hervor und über projizierte Bomber ihre kriegslüsterne Macht. Elefanten ziehen die ersten Wägen in Ägypten durch den Schlamm. Ein kenterndes Containerschiff spannt den Bogen vom 19. ins 21. Jahrhundert.

SängerInnen und Chor sind in der Gegenwart verortet. In glitzernden Abendroben funkeln die äthiopische Sklavin Aida und die ägyptische Königstochter Amneris um die Wette. Die Könige und auch Feldherr Radamès erscheinen in modischen Anzügen. Was Verdi über Altägypten ohne historische Grundlagen fiktiv erzählt, gilt für seine Zeit genauso wie für die unsere. Entsprechend kontrastiert Calixto Bieìto biedermeierliche Haute Volée mit der Sklavenarbeit der Kinder, wenn sie aus Abfallplastiksäcken Kabel sortieren. Eine kleine Elite bestimmt das Leben der Masse. Die psychotischen Folgen werden über die Symbolik der Clowns via Batman-Joker nur angedeutet. 

In diesem tiefgründigen, aber wenig ablenkenden Umfeld kommt Verdis Musik unter der Leitung von „Aida“-Spezialist Nicola Luisotti sehr differenziert zur Wirkung. Er weiß Verdis extreme Dynamik zwischen subtilsten Pianissimi und monumentalen Fortissimi umzusetzen. Wunderschön umspielt die Soloklarinette den Gesang. Die Aida-Trompeten in luftiger Bühnenhöhe, der Chor aus dem Off kommen bestens zur Wirkung. 

Sehr gut besetzt gewinnt jede Arie menschliche Tiefe. Die Protagonisten sind nicht von sich aus böse, sondern als Marionetten der Götter und durch die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen, sich bekriegenden Völkern in unlösbaren Zwängen, die die Liebe nicht überwinden kann. Marina Rebeka gelingt als Aida ein faszinierendes Rollendebüt.

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©Hedwig Pammer

In höchsten Lagen glänzt sie durch ganz subtile Pianissimi, die sie in rasanten Crescendi furios über den wuchtigen Orchesterwogen, aufleuchten lässt. Ihre warmen tiefen Tönen zeigen ihr breites Tonspektrum. Elina Garanča gibt als Amneris eine rasante, schauspielerisch gewandte Konkurrentin ab. Sehr emanzipiert, sich ihrer mächtigen Position bewusst drängt sie sich immer wieder Radamès auf. Im letzten Akt gewinnt sie im Liebesschmerz um den verurteilten Ramadès als Braut ohne Bräutigam zwar nicht dessen Herz, aber durch ihren betörend schönen Mezzosopran den Jubel des Publikums.

Im Schatten dieser großen, sehr berührenden Frauenstimmen setzen René Pape als Priester und Gabriele Vivíani als König von Äthiopien dunkel schattierte, satte Kontraste. Grigory Shkarupa zeichnet den ägyptischen König souverän. Die Partie des Ramadès bietet viel Raum für Emotionen, die Yusif Eyvazov überzeugend zum Ausdruck bringt, dafür trotzdem die politischen Buhrufe erntet, wie zu Saisonbeginn die russisch-österreichische Starsopranistin Anna Netrebko, seine Ehefrau.

Künstlerisches Team: Nicola Luisotti (Musikalische Leitung), Calixto Bieíto (Regie), Rebecca Ringst (Bühnenbild), Ingo Krügler (Kostüme) Michael Bauer (Licht) Adrà Reixach (Videodesign), Dani Juris (Einstudierung Chor), Bettina Auer, Christoph Lang (Dramaturgie)