Berlin – Uraufführung von Detlev Glanerts „Oceane“ in der Deutschen Oper

Opernkritik "Oceane" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Bernd Uhlig

Grau in Grau inszeniert Robert Carsen den Sommerball im Hotel am Meer. Madame Louise, von Doris Soffel mit einem Anflug vermisster französischer Lebensart  gespielt und mit heroischer Durchhaltekraft gesungen, weiß nur zu gut, wie desolat das Haus ist, eine Chiffre für die vergangenen besseren Zeiten. Selbst die Lampengirlande ist kaputt und das Büfett glänzt in weiß und silber ohne die bunte Pracht genussvoller Speisen surreal spartanisch. Madame hofft auf Mäzene, um  ihr Haus sanieren zu können, mit Blick auf Oceane, die angereiste reiche Fremde. Deren Erscheinen auf dem Ball  im schillernden Abendkleid  taucht die Szenerie in goldenes Licht. Maria Bengtsson gibt Oceane die Aura einer geheimnisvollen Femme Fatale. Sie mischt die einfachen Polkas mit den lächerlich exaltierten Beinen der Männer auf, dreht sich wild mit blonder Mähne zwischen ihren Verehrern, tanzt allein ekstatisch. Die anderen erstarren zwischen Begehren und Befremden. Diese Frau ist durch und durch anders, ein Naturwesen wild wie das Meer, nicht zu bändigen. Sie würde gerne lieben, kann es aber nicht. Sie kennt nur die Sehnsucht nach Liebe.

Der Gutsbesitzer Martin von Dircksen verfällt ihr mit Haut und Haar. Doch seinen Kuss wehrt sie ab. Erst beim Picknick am Tag darauf mit dessen Freund Albert und ihrer Gesellschafterin Kristina, dem konventionellen Gegenpaar, küsst Oceane ihn. Als Oceane wenig später bei der angeschwemmten Leiche eines Fischers keine Anteilnahme zeigt, weil für sie der Tod nur die Angst vor dem Tod ist und sie keine Angst vor dem Tod hat, stigmatisiert sie der Pfarrer endgültig zum Störfaktor.

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Während die Verlobung von Oceanes Gesellschafterin Kristina mit Martins Freund Albert freudig beklatscht wird, folgt auf die Bekanntmachung von Martins und Oceanes Verlobung nur Schweigen. Die Koffer der abreisenden Gäste wie eine Abwehrmauer aneinandergereiht signalisieren bedrohliche  Diskriminierung. Einsam wie  Caspar David Friedrichs „Wanderer“, allerdings am Meer, blickt Martin auf die Fluten, Oceanes Abschiedsbrief in den Händen.

In nur eineinhalb  Stunden entfaltet die Uraufführung von „Oceane“ eine atmosphärische Spannung, in der alles bis auf das i-Tüpfelchen stimmt. Robert Carsen, verantwortlich für Regie, Bühne und Licht gelingt zusammen mit den Videos von Robert Pflanz eine raffinierte Visualisierung, in deren reduzierter Breitwandoptik mit Blick über die Promenade auf die Brandung sich die Polarität zwischen Natur und biedereren Gesellschaftsstrukturen bestens spiegelt, Naturromantik an Naturgewalt zerschellt, das reale Geschehen in seinen surrealen Facetten aufleuchtet und das Gleichgewicht unter der subtilen Choreografie von Lorena Randi Polaritäten ständig kippt.

Unter der musikalischen Leitung Stephan Zillas´,  jede Parte überzeugend besetzt, kommt Detlev Glanerts Komposition  für große Besetzung und Chor brillant zur Wirkung. Faszinierend macht das Orchester der Deutschen Oper Berlin dessen flirrende, wogende, tosende, windgepeitschte Modulationen des Wassers und seine jahrelang entwickelten Klangmotiven hörbar. Oceanes Affinität zum Meer, ihre Sehnsucht zu den Menschen, der menschlichen Liebe aufzusteigen wird gleich zu Beginn durch ihr a capella-Solo melodisches Motiv. Windmaschinen, Röhrenglocken, zwei Harfen verdeutlichen Oceanes Fragilität. Kräuselnde Triolenbewegungen der Geigen simulieren den Wellenschlag, Viertonmotive den Sturm. Großartig endet Oceanes ekstatischer Tanz in einem betörenden hohen Gis. In ihrer leidenschaftlichen Intonation unterscheidet sich Oceane ganz deutlich von den gesellschaftlichen Konventionen. Martin dagegen, von Blechbläsern gestützt, ist der tatkräftige, geerdete Gegenpol voller Lebensoptimismus. Die Partien von Kristina (Nicole Haslett) und Albert (Christoph Pohl)  werden, durch Piccoloflöten bzw. Fagott und Posaune intensiviert, als überhebliche, aufgeblasene Spießer intoniert. Der  Pfarrer (Albert Pesendorfer) tubaverstärkt degradiert zum Bösewicht und Volksaufhetzer. Sommerliche Klangatmosphäre ist nicht vorgesehen. Die Parlandi im ersten Akt von Madame und Georg (Stephen Bronk) zeugen nur vom Lamento der desolaten Situation und von der  Klatschsucht über die Gäste. Oceanes Einsamkeit und vergebliche  Sehnsucht nach Liebe überstrahlt alles. Geldgier und Diskriminierung verhindern positive Visionen, womit die Oper voll den Zeitgeist trifft.