Obwohl Diego Fasolis, Spezialist für historische Aufführungen, Monteverdi mit der Akademie für alte Musik Berlin überaus klangschön, transparent, facettenreich interpretiert und dessen Liebesgeschichte herausmodelliert, gelingt Regisseurin Eva-Maria Höckmayr das Kunststück permanent die latente Unmoral von Monteverdis Figurenarsenal zu offenbaren und die Liebe als reine Lust, die Geschichte dazu als Farce zu decouvrieren. „L´incoronacione di Poppea“ endet dieses Mal nicht als tolerantes Happyend. Poppeas Hochzeit ist bereits überschattet von Neros nächster Leidenschaft zu einem schönen Jüngling.
©Bernd Uhlig
Damit knüpft Eva-Maria Höckmayr an die historische Biografie Neros an, der die schwangere Poppea ein Jahr später schon tötete. Gleichzeitig wird Monteverdis Kritik an der Unmoral der Würdenträger in Rom über die Figur Neros und seines Hofstaates bestens spürbar.
Die ständige Präsenz aller Personen mit immer neuen überraschenden Handlungsdetails gibt dieser ersten großen Oper der Musikgeschichte eine sehr erheiternde parodistische Zwischenebene, gerade weil die Regie nicht mit Bildern zudeckt, sondern die Musik sehr differenziert und sehr subtil in Tanz, erotischem Gehopse und heißen Sexszenen umsetzt und zeigt, was sich hinter den Gardinen tatsächlich abspielt, und die Parodie durch die prüde Beobachtungsperspektive dupliziert, mit der Hof das lüsterne Spiel argwöhnisch verfolgt.
Durch Anna Prohaska wird diese Poppea tatsächlich zum skrupellosen Luder, das sich nach oben schläft, die Männer durch Dessous und sinnliche Berührungen zu betören weiß, zunächst noch abgeschirmt, dann offen auf der Rampe, wenn es sein muss auch zu dritt. Hauptsache es dient der Karriere zu Kaiserin. Anna Prohaska koloriert wie sie erotisiert, kraftvoll, klar, energisch, dominant, in High Heels und Timbre fast wie eine Popsängerin. Jede Szene ein Genuss für Aug und Ohr, jede Bewegung im Puls der Musik.
Ihre Rivalin, Kaiserin Ottavio, hat keine Chance. Katharina Kammerloher zeigt sie in hoheitlicher Zugeknöpftheit, in der Ambivalenz von Opfer und Täterin in ausdrucksstarken Arien. Der kaiserlichen Kleider beraubt versteinert sie im Graulicht. Die Männer, sowohl Kaiser Nerone (Max Emanuel Cencic) als auch der Höfling Ottone (Xavier Sabata) degradieren zu testerongesteuerten Hampelmännern, verstärkt durch Besetzung mit Countertenören, die erotisches Vibrieren hörbar machen, was bei Nerone sich in der Lust verlierend fast in eine debile Infantilität führt, und bei Ottone, einem egomanischen, Poppea hörigen Wendehals leider nur schauspielerisch in ein mafiose Brutalität umschlägt. Ottones reanimierte Exgeliebte Drusilla mausert sich mit Evelin Novaks strahlendem Sopran rollenadäquat vom Mauerblümchen zum tugendhaften Vorbild für alle Frauen.
©Bernd Uhlig
Äußerst amüsant mit einem Hauch Commedia dell´Arte bringt Eva-Maria Höckmayr die beiden Ammen ins Spiel. Jochen Kowalski hält als Ottavias Amme mit einem überdimensioniert breiten Reifrock wie ein Flaggschiff die Stellung auf der Bühne und rauscht zuweilen raumgreifend dazwischen. Sein faszinierender Countertenor mit voluminöser Tiefe weiß er für die Komik dieser Rolle bestens einzusetzen. Allein es nützt nichts. Poppeas Amme Arnalta übernimmt die Position. Liebenswürdig skurril, sängerisch und schauspielerisch mit umwerfenden Charme. zeichnet Mark Milhofer diese Arnalta, Selbst der hehre Sokrates von Franz-Josef Selig statt mit stoischer Gelassenheit als wohlgenährten, selbstfällig Höfling mit kräftigen Stimmvolumen parodistisch untergraben. „Vernunft ist nutzlos“, konstatiert er und stürzt tot zu Boden. Tugend und Fortuna, gesungen von den Solisten des Kinderchors haben keine Chance. Lucia Cirillo besingt kraftvoll die Macht der Liebe als barockes Herz in barocker Opulenz über die Bühne schwebend. Doch das Herz ist gespalten und das Rot der Liebe nur das Rot der Lust.
Michaela Schabe