Berlin – Schrekers „Der Schatzgräber“ – eine Entdeckung an der Deutschen Oper

Opernkritik Schreker "Der Schatzgräber" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Deutsche Oper Berlin, Monika Rittershaus

Ein Stimmungsraum genügt Christof Loy für die dreistündige Oper, in der das Suchen nach der Lebensenergie das Kernthema ist. Zwei große Portale führen hinaus in die Welt, die sich nur röten als Elis und Els in inniger Liebe durchschreiten. Die Handlung spielt im Innenraum, der in dunklen Marmortönen wie eine Gruft wirkt und durch traumwandlerische Bewegungsretardierungen psychotische Innenwelten auftauchen lässt. Der große Bilderrahmen zwischen den Portalen bleibt leer. Die Kunst, das Schöne darzustellen, ist in dieser Welt verschwunden.

Ästhetisch sehr gekonnt verlegt Christof Loy das mittelalterliche Märchen in eine zeitlos elegante Männergesellschaft in Smokings, Anzügen und Uniformen.

Opernkritik Schreker "Der Schatzgräber" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Deutsche Oper Berlin, Monika Rittershaus

In diesem Umfeld leuchten die Frauen symbolisch, im weißen Abendkleid mehr Partydiva als Schneewittchen die zerbrechlich stumme Königin in schwingsüchtigen Schräglagen, feurig rot Els, die sinnliche Wirtstochter und der Narr mit seiner roten Kappe. Ein langer Tisch wird zur zweiten Bühne, das Ganze zum fotorealistischen Genrebild einer oberflächlichen Abendgesellschaft, die Liebe durch Orgie ersetzt.

Die beiden Frauen visualisieren die antipodischen Stimmungslagen. Die eine Symbol der Reinheit und Unschuld hat alles verloren, weil ihr die Gier der anderen alles genommen hat. Els, Inkarnation männlicher Begierden, weiß die Männer „kirre“ zu machen, sie zu instrumentalisieren. Els’ Erotik ist wie ein Virus, ansteckend. Heiraten darf sie nur, wer ihr davor ein Schmuckstück bringt. Doch die Freier werden von Albi, ebenfalls ihrer Weiblichkeit verfallen, gemeuchelt. Auch er geht leer aus. Denn Els verliebt sich in den vagabundierenden Lautenspieler Elis, der ihr aus freien Stücken ein Kleinod schenkt, das zum gestohlenen Schmuck der Königin zählt. Elis kann mit seinen Tönen Schätze finden. Womit Schreker die tonale Melodie zum lebensenergetischen Symbol erhebt, die sie über Richard Strauss hinaus weit stärker gewichtet.

Genau diesen Elis soll der Narr suchen, damit der Schmuck der Königin gefunden wird. Els und Elis scheinen in ihrem Drang nach sozialem Aufstieg und ihrer aufblitzenden Liebe Wesensverwandte zu sein, worauf schon die Ähnlichkeit der Namen verweist. Els ist bereit der Königin den Schmuck über Elis zurückzugeben. Doch Els’ kriminelle Vergangenheit zerstört alles. Zuerst gerät Elis fast unter den Galgen, eine sehr expressive Szene, dann muss sie selbst büßen. Der Narr löst sie durch Heirat aus. Jetzt siecht sie an seiner Seite dahin. 

Für Schreker gibt es in jener Zeit kein Happyend, nur eine unausweichliche Tristesse, die einen leiden, doch die Mächtigen machen wie gewohnt weiter. Die Spannung zwischen sehnsuchtsvollem Wollen und realistischem Zerschellen packt Schreker in grandiose Klangwechsel mit äußerster Sinnlichkeit, es raunt und surrt aus dem Orchestergraben, brachiale Urgewalten lodern auf. Kaum erklingt eine subtile Tonlinie wird sie von immer noch wuchtigeren Klangsphären überrannt. Diese Finessen arbeitet Marc Albrecht, der das Werk bereits gut kennt, sehr transparent und dynamisch heraus.

Gastsängerin Elisabet Strid überstrahlt durch ihr außerordentlich energetisches Stimmvolumen die Szenerie, selbst das Fortissimo des Orchesters und auch im Duett mit Elis dominiert sie rollenadäquat. Sie ist der Vulkan, der die Männerwelt in Wallung bringt und gleichzeitig zu Hampelmännern degradiert, auch wenn sie noch so zackig in Erscheinung treten.

Daniel Johansson in der Titelrolle wirkt dagegen in den Höhen sehr angestrengt, wird vom Orchester zuweilen überstrudelt. Eine klare Ansage hat Bassbariton Tuomas Pursio als König, auch wenn  seine Figur als eher lässiger, toleranter Genussmensch angelegt ist, den der Kanzler (Clemens Bieber) an seine Führungspflichten erinnern muss. Thomas Johannes Mayer verleiht dem Vogt ein überzeugend resolutes Auftreten, nicht zuletzt durch seine Textdeutlichkeit und klangschön singt Michael Laurenz die Partie des Narren. Jede Figur, ob Solist oder Statist, agiert absolut stimmig und die wenigen Chorpassagen aus dem Off lassen aufhorchen. 

Musikgeschichtlich ist diese Inszenierung als Weiterführung von Richard Strauss’ und Richard Wagners sphärischer Musik in Symbiose mit den italienischen Melodielinien überaus interessant. Durch das dynamische Dirigat Marc Albrechts, das impressionistisches Glitzern genauso aufbaut wie romantische Wucht, und die symbolisch verschlüsselte und überaus ästhetische Präsentation unter der Regie von Christophs Loy wird Schrekers Meisterwerk an der Deutschen Oper zum besonderen Erlebnis. Die Inszenierung lässt Raum zum Zuhören. Doch alles erfassen kann man beim erstmaligen Hören bei weitem nicht. Schrekers „Der Schatzgräber“ braucht Zeit sich zu erschließen. Was sich mitunter im ständigen Gewoge der Stimmungen schwülstig anhört, hat doch enorme Tiefenstrukturen. 

Künstlerisches Team: Marc Albrecht (Musikalische Leitung), Christof Loy (Inszenierung), Johannes Leiacker (Bühne), Barbara Drosihn (Licht), Eva-Maria Abelein, Constanze Weidknecht (Spielleitung), Jeremy Bines (Chor), Dorothea Hartmann (Dramaturgie) 

In den Hauptrollen singen und spielen: Elisabet Strid (Els), Daniel Johansson (Elis), Thomas Johannes Mayer (Vogt), Tuomas Pursio (König), Doke Pauwels (Königin), Clemens Bieber (Kanzler), Michael Laurenz (Narr), Patrick Cook (Albi) 

zusammen mit dem Opernchor und Orchester der Deutschen Oper Berlin