1944 komponierte Viktor Ullman in Theresienstadt dazu eine Oper für Klavier und mögliches Orchester, was ihm durch die Zeitumstände verwehrt war. Es wurde seine letztes, nicht ganz vollendetes Werk, bevor er in Ausschwitz ermordet wurde.
Die Neuköllner Oper in Berlin entdeckt den „Cornet Rilke“ mit einer Uraufführung neu. Malte Giesen, mehrfach preisgekrönter Komponist, Pianist und Elektroakustiker legt ein überzeugendes musikalisches Konzept vor. Er komponierte die Oper neu in unserem Zeitkontext, integriert die leidenschaftlich akkordischen Klavierpassagen Viktor Ullmanns in expressiver Dynamik, lässt dessen orchestral angelegten Passagen aufleuchten und mischt die Musik mit wuchtigem Elektrosound, sphärischer Klängen, impressionistischem Rauschen, Herzschlag pulsierenden Rhythmen, irritierenden Dissonanzen und sirenischen Gesängen auf, intensiviert mit heftigen Crescendi und reduziert zuweilen wirkungsvolle auf Kraft einzelner Klänge.
Das passt hervorragend zur Regiekonzept Fabian Gerhardts, der den Text alternierend, simultan von Hrund Ósk Àrnadòttier und Dennis Herrmann episch und dramatisch sprechen und von ihrer Seite singen lässt. Rebekka Dornhege Reyes baut dazu einen weißen Kubus mit Gazevorhängen, unten mit Markus Syperek am Flügel, oben Videoprojektions- (Video Cavo Kernich) und Spielfläche.
©Matthias Heyde.
Weiß gekleidet wirken die Darsteller kühl distanziert als Menschen von heute, fast mechanisch wie Roboter. Romantik klingt an nur im Tüllrock der Liebesbraut, in den Faltungen der Ärmel und Schulterpartien, wird hörbar in den feinen Einzeltönen, durch zarte Wangennähe wie plakativ Werbevideo für die Liebe.
In nur einer Stunde erzählt die Oper in wuchtigen Bildern und Tönen zwischen sonniger Tageshelle und nächtlichen Lichtstimmungen, Feuergefechtsnebeln bis in die Zuschauerreihen und lodernden Flammen Rilkes „Weise von Liebe und Tod“, von Freundschaft und Gemetzel.
Über Rilke hinaus gelingt dieser Uraufführung der Blick auf die Folgen, die Kriegsgräber, auf wuchtige Armeeanlagen und Theresienstadt. Umgrünt wächst trotz der Tristesse die Hoffnung.
Das ist durch und durch gelungen und lässt das akustische Ungleichgewicht schnell vergessen. Die Stimmen gehen trotz Mikrophonen in der musikalischen Wucht zuweilen verloren.
Man wünschte sich noch mehr Live-Gesang. Hrund Ósk Árnadóttirs kraftvoll sirenischer Sopran könnte manche Elektronikpassage ersetzen. Mit nur einer Stimme bleibt die Uraufführung der „Weise vom Liebe und Tod“ allerdings mehr im Liedbereich als in der Oper verankert.
Markus Syperek wird als Pianist mit expressiver Gestik und Performer des Elektroniksounds zum Zentrum der Aufführung. Er ist der musikalische Drahtzieher, nachdem die Protagonisten zu agieren haben, ist die gesellschaftspolitische Botschaft dahinter. In Giesens´ Musik werden die Machtstrukturen zwischen leitmotivischen Elementen a la Ullmanns nach Wagner, bombastisch atmosphärischer Filmmusik a la Hollywood und die schrillen verfremdenden Dissonanzen als Ausdruck menschlichen Elends hörbar. Die Liebe in der Realität wird ganz beiläufig raffiniert in den Videos hinterfragt. Sie schafft nur den Lilabereich in Nebenbereichen, als Blümchen vor dem baufälligen Fenster, als Schuhe und T-Shirt des Joggers, im heruntergekommenen Denkmal.
Michaela Schabel