©Komische Oper Berlin, Foto Barbara Braun
Luigi Nono wollte seine erste Oper „Intolleranza“ (1961) immer schon von der Guckkastenbühne befreien. Jetzt gelingt in der Komischen Oper eine großartige Inszenierung, die dem Publikum in der letzten Spielsaison vor der Restaurierung des Hauses, ganz neue Perspektiven eröffnet und einen klaren Intendantenwechsel ankündigt, was nach der Ära Kosky alles andere als einfach ist.
Zutiefst berühren die ersten Tonlinien des a-Capella-Chores. Er agiert als wichtiges Handlungsmoment auf der Bühne, wechselt von der Kommentator- in die Mitspielerrolle, fungiert als wogende Fluten und Flüchtlinge in weißen Kostümen Teil dieser reinen unbefleckten Landschaft, in der das menschliche Leid über rote Schleier zu bluten beginnt und die Schlagwerke immer wieder apokalyptische Abgründe heraufbeschwören, die wiederum engelhafte Sopran- und Tenorsoli, darunter ein großartiges Solo aus dem Off (Josefine Mindus), hoffnungsvoll durchkreuzen.
Die Handlung ist extrem reduziert, was durch die Inszenierung noch verstärkt wirkt und sich erst aus der Symbolik der Frauen als gewählte und ursprüngliche Heimat logisch erschließt.
Ein Emigrant bekommt Heimweh. Er verlässt die Frau, die ihm Liebe und Geborgenheit gegeben hat, will zurück in seine Heimat. Die Frau schwört Rache. Doch der Emigrant ist nicht aufzuhalten. Er wird malträtiert, gefoltert, lernt einen Algerier kennen, mit dem er das Schicksal teilt, aber im Wir des Widerstandes wird er stark genug für die Freiheit zu kämpfen, denn „in keiner Zeit war die Unterdrückung besser bewaffnet.“ Als er eine weitere Frau kennenlernt, obsiegt die Hoffnung. Aus den Brettern der Unterdrückung wird ein Boot in die Heimat.
Unter der Regie von Gabriel Feltz wird in dieser Inszenierung jedes Detail zur großen Metapher. Musik und Texte, Emotion und Reflexion stehen im Vordergrund. Luigi Nono selbst überarbeitete das Libretto Angelo Maria Ripellinos durch Texte von Paul Èluard, Wladimir Majakowski, Henri Alleg, Jean-Paul Sartre, Julius Fučik und Bertolt Brecht. Ein Text von Carolin Emcke kam in Berlin noch dazu. Doch entscheidend ist Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“ als zu Beginn und am Ende als Hoffnungsschimmer „in finsteren Zeiten“, die nur durchbrochen werden können, wenn „Der Mensch dem Menschen ein Helfer ist“.
Die Oper, nur 70 Minuten lang, entwickelt einen ungewöhnlichen Sog, dringt tief in die Seele ein, weil sich die Gegenwart in diesem Opernklassiker nach 1945 mehr denn je spiegelt.
Dass das so ist, liegt vor allem an der Besetzung des Emigrante mit Sean Panikkar, amerikanischer Tenor mit Wurzeln in Sri Lanka. Er ist nicht nur ein exzellenter Tenor, der in dieser Partitur das hohe C 14 Mal mit spielerischer Leichtigkeit singt, sondern gibt dieser Figur auch durch seine dunkle Hautfarbe und seinen milden offenen Gesichtsausdruck eine überaus sympathische und charismatische Aura.
©Komische Oper Berlin, Foto Barbara Braun
Mit Deniz Uzun mehr Eiskönigin als Frau mit weißem Schleier und langer weißer Schärpe verlässt er die gewählte vereiste Heimat mit kristallklaren Tönen, um zurückzukehren in seine ursprüngliche Heimat, wohin die Weggefährtin, Gloria Rehm, wie ein schwarzer Vogel nicht minder königlich und geheimnisvoll, den Weg zeigt. Überaus subtil erfolgt die Annäherung in tonalem Flirren und fragilen Glockenspielen. Ilse Ritter setzt mit einem gesprochenen Text als Engel mit einem Exkurs über Flucht und Gewalt, Passivität und Handeln nachdenkliche Akzente und Tijl Faveyts vermittelt als Gefolterter die Inkarnation des Leids. Das sind großartige Sequenzen, in denen nur der Algerier, Tom Erik Lie muss ihn blond gefärbt spielen, aus der Farbsymbolik fällt und tonal etwas schwach wirkt.
Unter der musikalischen Leitung von Gabriel Feltz gelingt das musikalische Experiment. Das kraftvolle Inferno von oben lässt den SängerInnen genügend Raum. Mittels neun Monitoren setzt der Chor auch ohne direkten Blickkontakt präzise ein. Dieser Opernabend, nur einige Tage auf dem Programm, ist zweifelsohne ein extravagantes Opening in die neue Ära der Komischen Oper Berlin. Viel Aufwand für wenige Vorstellungen und in dieser Art wohl kaum mit Nachfolge, aber man darf gespannt sein.
Künstlerisches Team: Gabriel Feltz (Musikalische Leitung), Marco Śtorman (Inszenierung) Márton Ágh (Bühnenbild) Sara Schwartz (Dramaturgie), Johanna Wall (Kostüme), David Cavelius (Chöre), Olaf Freese (Licht)