"Kultur macht glücklich"


Berlin – Leoš Janáčeks „Katja Kabanowa“ in der Komischen Oper 

Veröffentlicht am:

von

Berlin – Leoš Janáčeks „Katja Kabanowa“ in der Komischen Oper 

©Komische Oper Berlin, Jaron Suffer

Schon die Bühne signalisiert stereotype Langeweile. Drei gleich ausgestattete Räume, deren wandhohe Holzvertäfelungen eher wie schäbige Resopalverkleidungen wirken, signalisieren nichts als Enge und Kargheit in dieser bürgerlichen Familie. Es gibt keine Fenster. Öffnet sich die Flügeltür, wird nichts dahinter sichtbar, was den Gefängnischarakter dieses Familienszenarios unterstreicht. Jeweils ein großer Esstisch und Stühle genügen. Das weiße Tischtuch verstärkt den Charakter steifen, fleckenreinen Wohlverhaltens. Doch der Schein trügt. Der Familienfrieden im Hause Kabanowa hängt schief. Die Mutter eifert mit der Schwiegertochter Katja, fühlt sich vom Sohn Tichon zu wenig geliebt, aber im Grunde geht es ihr nicht um die Liebe, sondern um die Macht, wer das Sagen hat. Wie selbstherrlich und gehässig diese Kabanicha ist, bringt Doris Lamprecht bei Tisch zur Wirkung und beim Techtelmechtel mit Oheim Dikoj, heimlich versteht sich, unter dem Tisch, versteckt hinter weißem Linnen, eine der besten und bissigsten Szenen dieses Opernabends. Der Oheim wirkt durch Jens Larsens souveränen Bass nicht minder dominant. Er will seinem Neffen Boris den Nachlass der verstorbenen Eltern nur bei gutem Benehmen ausbezahlen. Damit ist Boris’ Schicksal, von Magnus Vigilius psychologisch vorausahnend innig liebend und tenoral bestens angelegt, sehr überschattet, da er sich in Katja verliebt hat.

Opernkritik "Katja Kabanova" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Komischer Oper Berlin, Jaron Suffer

Als Tichon geschäftlich verreist, flammt die große Liebe zwischen Katja und Boris auf. In ihrer Verzweiflung und aus Scham über ihr Verhalten gesteht sie bei Tichons Rückkehr ihre Untreue. Stephan Rügamer gibt ihm die Milde eines hilflos überforderten Liebenden. Doch Katjas seelisches Schuldbewusstsein, nicht zuletzt die rigiden Reaktionen der Schwiegermutter treiben sie in den Selbstmord. 

Opernkritik "Katja Kabanova" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Komischer Oper Berlin, Jaron Suffer

Sehr klar arbeitet die niederländische Regisseurin Jetske Mijnssen die gnadenlosen Strukturen dieser Familie heraus, in der keiner glücklich ist und sich jeder heimlich ein Stückchen Liebe bzw. Erotik verschafft. Durch das intensive Zusammenwirken von Musik und Inszenierung, exzellenter Ensembleleistung und das hochdynamische, sehr facettenreiche Dirigat gewinnen die Figuren eine psychologische Ausleuchtung, vor allem einen spezifischen Klang, der den familiären Missklang immer wieder offeriert. Das ist nicht berührend wie bei Verdi, Wagner oder Strauss, sondern vermittelt sich kühl aus schroffer, analytischer Distanz. In diesen spießigen, unterdrückenden Beziehungen, die keine echten Visionen und Ausbrüche zulassen, kann Liebe nicht erblühen. Exzellent singt und spielt Annette Drasch Katja Kabanowa als sehr beherrschte, in sich gekehrte Frau, die versucht in diesem System zu funktionieren und von ihrer Sehnsucht regelrecht traumatisiert ist. Boris´Liebe gibt ihr das Gefühl „Wie ein Vöglein in Freiheit“ zu sein.

Opernkritik "Katja Kabanova" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Komischer Oper Berlin, Jaron Suffer

Aber nach zehn Tagen Liebesrausch, auf der Bühne nur als sehnsuchtsvoller Rückblick besungen, stellt sich für Katja nach der Verbannung von Boris nach Sibirien durch seinen Oheim die entscheidende Frage. „Ja, warum lebe ich noch?“ 

Dass es auch ganz anders geht, beweist Varvara, der Susan Zarrabi mit ihrer klaren Mezzostimme eine sehr stabile Psyche verleiht. Sie verlässt mit ihrem Liebsten Wanja (Timothy Oliver) das Dorf, um ein neues Leben in Moskau aufzubauen. 

Das ist sicher eine bedeutsame werkimmanente Inszenierung im Hinblick auf Leoš Janáčeks Schaffen und immer noch wichtiges Thema zum Thema der Position der Frau in der Familie, die man allerdings wesentlich aktueller auf die Bühne hätte bringen können. 

Künstlerisches Team: Giedrė Šlekytė (Musikalische Leitung), Jetske Mijnssen (Regie), Julia Katharina Berndt (Bühne), Dieuweke van Reij (Kostüme), Simon Berger (Dramaturgie) , Jean-Christophe Charron (Chöre), Mark van Denesse (Licht)

Es sangen am 5. Dezember: Annette Dasch (Katja), Magnus Vigilius (Boris), Doris Lamprecht (Schwiegermutter Kabanowa), Stephan Rügamer (Tichon, Ehemann Katjas), Jens Larsen (Oheim Dikoj), Susan Zarrabi (Varvara), Wanja (Timothy Oliver)