"Kultur macht glücklich"


Berlin – Hans Werner Henzes Oper „The Bassarids“ in der Komischen Oper

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Berlin – Hans Werner Henzes Oper „The Bassarids“ in der Komischen Oper

©Monika Rittershaus

2400 Jahre alt ist die Euripides´ Tragödie der „ Bakchen“  über die Anhänger des Dionysos, geschrieben für die antiken Dionysosspiele. Fünf Tage wurde zu Ehren des Gottes Dionysos von morgens bis Einbruch der Nacht sieben bis acht Stunden gespielt, kostenfrei gegessen und getrunken. Der Besuch der Dionysien war politisches Recht und religiös-moralische Pflicht. Der beste Dichter wurde gekürt.

Hans Werner Henze verwandelte den Sagenstoff nach dem englischen Libretto von Wystan Hugh Auden und Chester Kallman in eine zeitgenössische Oper (Uraufführung 1966, revidierte und reduzierte Fassung 1992).

Die neue Inszenierung an der Komischen Oper besticht in mehrfacher Hinsicht. Unter der musikalischen Leitung von Vladimir Jurowski und der Regie von Barrie Kosky gelingt ein mitreißendes Gesamtkunstwerk. In englischer Sprache gesungen bleiben Sprachrhythmus und musikalische Vertonung synchron. Das mächtig besetzte Orchester, für das der Orchestergraben viel zu klein ist, wird auf der Bühne, die Klaviere am Foyergang,  einige Bläser in den Rängen platziert, wodurch sich zumindest die Besucher der vorderen Reihen mitten im Geschehen fühlen.  Die Bühne selbst, als Riesentreppe konzipiert, gibt den  Instrumentalisten, Sängern und Tänzern Raum für hierarchische Effekte, Showbusiness und expressive Massenszenen. Ohne Abdunklung des Zuschauerraums bleibt nichts verborgen. „There is no way to hide“, es kann nichts versteckt werden, so das Motto, das über „The Bassarids“, Dionysos´ Rachezug schwebt.

Der Plot ist wie immer in der Antike komplex. Die Einführung vor der Oper oder die Lektüre des Programmheftes lohnt.

Es geht um zwei Familientragödien, zwei Mutter-Sohn-Beziehungen im Herrscherhaus Thebens, wo Cadmus´ Enkel Pentheus, Sohn der Tochter Agave, regiert. Semele, Cadmus´ zweite Tochter, von Zeus verführt und mit Dionysos schwanger, verbrannte, als Hera, Zeus eifersüchtige Gattin ihr riet, Zeus sehen zu wollen. Zeus sorgte dafür, dass Dionysos überleben konnte. Herrscher in Theben wurde aber der vernünftige, überaus disziplinierte Pentheus.

Zu Beginn der Oper kehrt Dionysos mit seinen Anhängern, den Bacchanten,   zurück nach Theben, um Semele zu rächen. Mit seinem dionysischen Lebensstil verführt Dionysos die Bürger, zuerst Tiresias den zweigeschlechtlichen Seher (Ivan Turšić), dann Agave und ihre Schwester Autonoe, schließlich sogar Pentheus selbst. Im Rausch hält Agave ihren Sohn für einen Löwen, tötet und zerstückelt ihn, verspeist ihn im Wahnsinn, während Dionysos, wie ein Erlöser in den Himmel auffährt.

So abgefahren die Geschichte sich anhört, so tiefgründig ist sie, treffen hier doch die beiden komplementären Archetypen des Menschseins aufeinander. Weder Dionysos noch Pentheus sind in ihrer Einseitigkeit sympathisch.

Henzes Oper "The Basserids" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Monika Rittershaus

Pentheus leidet an der Unterdrückung jeglicher Erotik und eines extrem spartanischen Lebensstils, von Günter Papendell exzellent interpretiert, zuerst als von Selbstdisziplin ausgemergelter farbloser Staatsmann, der immer unerbittlichere und grausamere Anweisungen an seinen Hauptmann (Tom Erik Lie) delegiert,  schließlich doch vom Virus orgiastischer Leidenschaftlichkeit infiziert, im schillernden  Outfit seiner Mutter als  willenlos manipulierte Marionette.

Henzes Oper "The Basserids" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Monika Rittershaus

Dionysos entpuppt sich als raffinierter, stets lächelnder Verführer, besetzt mit Sean Panikkar, amerikanischer Tenor mit indisch-tamilischer Abstammung, wird sektenhafte Manipulation assoziierbar. Der eine Leidensmann, der andere Erlöser sind beide letztendlich Gefangene ihrer Art. Es gibt nur Rache und Mord, keinerlei Versöhnung, ein Spiel der extremen Gegensätze, viel zu ausgestellt, um das „Fremdsein in uns selbst“ zu rühren.

Das gilt auch für die thematisierten konträren Seiten des Archetypus der Urmutter, Beroe (Margarita Nekrasova), die Amme Semeles und Pentheus` steht für das Wachsen, die Güte, Agave, Pentheus Mutter,  mit Tanja Ariane Baumgartner von Anfang eine besitzergreifende Lebedame, wird zur Tigerin, die alles vernichtet.

Die Wucht dieser Polaritäten kommt in Koskys szenischer Inszenierung dieser „Bassarids“ vorzüglich zur Wirkung und lässt Theater in seiner kultischen Wirkung in Erscheinung treten.  Der Fokus bleibt auf der Musik, der stimmlichen und schauspielerischen Expression der exzellenten Sänger, die in ihren grellen Kostümen (Katrin Lea Tag) herausstechen und durch  Koskys präzise und originelle  Personenregie die Ambivalenzen der individuellen  Figurenentwicklung im Rahmen der archetypischen Dualitäten extrem ausgestellt interpretieren.

©Monika Rittershaus

Die Treppenbühne fungiert bestens, die Fallhöhen der Protagonist*innen zu versinnbildlichen, den Chor mit perkussiven Klatschelementen und die  Tänzer in euphorisierten Rauschzuständen  (Choreographie Otto Pichler)  als Volk immer wieder raffiniert in die Handlung einzubinden. Cadmus, mit Jens Larsen charismatisch besetzt, stürzt hinab, erkennend, dass „Die Erde bebt, wenn die Götter lachen“.

Vladimir Jurowski dirigiert mit faszinierender Hingabe, irrsinnigen Tempi, jedes instrumentale Schwirren und Flirren zum Ausdruck bringend , jeden Einsatz exakt im Blickfeld, mit der linken subtil modifizierend, teilweise lautlos mit artikulierend, bringt er seine Energie ein und gibt durch wuchtige Crescendi, die immer wieder aus den Decrescendi aufwogen, der kultischen Monumentalität Raum. In den Tutti wird die Vielschichtigkeit instrumental individueller Motive zum apokalyptischen Inferno, in dem immer wieder ganz feine musikalische Überraschungen aufleuchten.

Die Chöre werden zum spannenden Handlungsträger wandeln sich von der lasziven Masse in rebellische Perkussionisten mit knallharter Ansage.

©Monika Rittershaus

Dass das Satyrspiel, das Henze selbst in seiner reduzierten Fassung  herausnahm, in dieser Produktion wieder auftaucht, bindet theatralisch an die antike Aufführungspraxis an. Doch das unterhaltsame  Maskenspektakel, wäre durchaus verzichtbar, nimmt dem dramatischen Spiel kurzzeitig nur die Dichte und bleibt aufgesetzter Fremdkörper in der Trägodie. Diese  endet mit Agaves Rauschtat grausiger als erwartet und mit Dionysos Himmelfahrt irritierend satirisch im Hinblick auf jegliche Erlösergeschichten.