Berlin – Festspiele Korngolds „Die tote Stadt“ an der Komischen Oper Berlin

Opernkritik "Die tote Stadt" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Iko Freese

Eine Oper, in der sich alles um die Liebe dreht, passt natürlich bestens ins Schlafzimmer. Genau dorthin verortet sie Robert Carsen, und zwar ganz epochentypisch in die 1920er Jahre. Alles spielt sich in einem großen mondänen Schlafzimmer (Michael Levine)  des Fin de Ciecle ab. Das Zimmer kreist wie die Gedanken des Protagonisten um die eigene Mitte. Das Licht (Robert Carsen, Peter van Praet) changiert zwischen intimer Wärme, grellem Tageslicht, langen bedeutungsschwangeren Schatten. Das wirkt wie ein  Film, der sich in jener Zeit geradezu revolutionär etablierte. verwandelt sich kurz in eine operettenhafte Revue und endet tragisch rätselhaft als Opernalbtraum.

Als Filmmusiker machte  Erich Wolfgang Korngold nach der Emigration in der NSDAP-Zeit in Hollywood Karriere. „Die tote Stadt“, seine  erste Oper, schrieb er mit 19 Jahren. 1920 wurde sie  gleich in zwei Städten, Hamburg und Köln, uraufgeführt und gilt immer noch als sein Meisterwerk, in dem er als spätromantisch moderner Komponist Klangwelten seiner Zeitgenossen aufleuchten lässt und zu einem extrem schwierigen, groß besetzten Klanggemälde zusammenfügt, das ganz bewusst oft über die Stimmen hinaus das Geschehen zwischen Erinnern und Erleben, Traum und Realität lautmalerisch erleben lässt.  So wird die Oper, eigentlich ein kammerspielartiges Psychogramm, zur orchestralen Psychose.

Pauls heiß geliebte Frau Marie ist tot, aber Paul lebt weiter mit ihr in Gedanken und Träumen. Als die Tänzerin Marietta in sein Leben kommt, glaubt er Marie wieder zu begegnen, beginnt mit ihr eine heiße erotische Beziehung, hin- und hergerissen  zwischen Reue und Begierde, der frommen Idealisierung der reinen Liebe in den Erinnerungen und der verführerischen Erotik Mariettas wird er zum Amoktäter und bringt Marietta um. Zwei Anstaltswärter führen Paul im grellen Gegenlicht einer offenen Tür ab. War alles nur ein Traum?

Ganz gewollt bleibt der Schluss so offen wie der Beginn, denn man weiß nicht, wie und warum Marie gestorben ist, ob es sich um Halluzinationen eines Psychopathen handelt oder um ein reales Geschehen.

Sehr subtil agiert die Regie. Robert Carsen findet eine stimmige Bewegungsdramaturgie. Obwohl das Libretto nur über ganz wenige Handlungsmomente verfügt, sich mehr  im Kopf abspielt, gelingen einprägsame und spannende Szenen, ohne dass sie zur Musik in Konkurrenz treten.

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©Iko Freese

Große eingegraute Porträtprojektionen Maries  an den Wänden (Video Will Duke) vermitteln die Macht der Erinnerungen, die dennoch kurzfristig verblassen angesichts Mariettas Erscheinen und ihrer illustren Tänzerschar. Wie ein Varieté-Engel schwebt sie wie eine Halluzination von oben ein, umringt von tanzenden Verehrern in glitzernden Anzügen. Und schon gewinnt  die Pauls schlechtes Gewissen in einer traumatischen weihrauchumwölkten Prozessionsszene wieder Oberwasser. Die  heilige Maria, zehnfach multipliziert, wird  als Spiegelbild Maries zum Inbegriff  der reinen Liebe zum Gegentyp der leichtlebigen Femme Fatale Mariettas.  Freud und Jung lassen grüßen. Derart im Spannungsfeld sexueller Begierden, muss Paul zum Psychopathen werden, das können weder Frank, Pauls Freund, Günter Papendell mit balsamischem Timbre  noch Haushälterin Brigitta, Maria Fiselier mit einfühlendem Verständnis, verhindern.

Aus heutiger Sicht wirkt das alles schon etwas arg klischeehaft, mitunter operettenaffin,  verstärkt durch die rauschhafte Musik, zumal Dirigent Ainãrs Rubikis das Orchester die dynamischen Möglichkeiten voll ausloten lässt und präzise mit der Regie abstimmt. Mit dem Paukenschlag verändert sich das Licht effektvoll wie im Film. Schade ist, dass  Aleš Briscein als Paul, zumindest im Hörbereich der Balkone, nicht das Stimmcharisma entwickelt, die  emotionale Bindung Pauls zu seiner toten Frau berührend zu vermitteln.

Bestens besetzt ist Marietta mit Sarah Jakubiak in jeder Beziehung überaus raum- und besitzergreifend. Sie verkörpert die moderne, genusssüchtige Frau, die das, was sie will, einfach tut, die  sich ihrer Wirkung voll bewusst ist. Doch sie ist hier nichts anderes als ein Revuegirl, das eine gute Partie wittert. Ihr Timbre oszilliert rollenadäquat zwischen schriller Verführung und eisiger Berechnung, womit Marietta, wie im Libretto vorgegeben, als Projektionsfläche für Marie unverständlich bleibt. „Er küsste eine Tote in ihr“ und findet natürlich nicht, was er sucht. So häufen sich in Freudscher Manier die psychoanalytischen Fragezeichen.

Die Inszenierung mit ihrer  Cross-over-Ästhetik passt freilich bestens in das Programm der Komischen Oper. Die Seele wird wenig berührt. Das schaffen nur die Solisten im Orchestergraben mit ihren klangschönen Piani.