„O dolce vita mia“, das letzte Lied bringt die melancholischen Melodien textlich auf den Punkt. „Du weißt, das ich für deine Liebe…
fast das Leben aufgegeben habe, das Feuer, das mich verzehrt, kümmert dich nicht, und ich verschmachte.“ Die Liebe in all ihren emotionalen Facetten ist das große Thema des jungen Ensembles „astrophil & stella“. Es hat sich musikalisch ganz auf die Ausdruckswelt der Renaissance und des Frühbarocks spezialisiert, um durch einfühlsame Interpretationen von Liedern, Motteten und Madrigalen aus dem späten 16. Jahrhundert ohne musikwissenschaftliche Strukturierung die Poesie von einst in die Gegenwart zu holen. Schon der Name „astrophil & stella“, übersetzt „Sternenfreund und Stern“ aus der Sonettsammlung Sir Philip Sidney von 1591 zielt auf kosmische Allgegenwärtigkeit, die in den italienischen und französischen Liedern ihren Ursprung hat. Durch stilistische Feinheiten, insbesondere durch leichtfüßige Diminutionen bringt „astrophil & stella“ die Schönheit dieser Lieder zum Funkeln. Über Dekors hinaus eröffnet das Ensemble klangsymbolische Erlebniswelten, die in der damaligen Gesellschaft durch ökonomisch orientierte Ehen völlig unterdrückt wurden.
Entsprechend setzt sich das kammermusikalische Quartett aus den in der oberitalienischen Renaissance üblichen Instrumenten zusammen. Mit Renaissancetraversflöte, Harfe und zwei Gamben verzaubert das Ensemble durch subtile, ausgesprochen klangschöne Stimmungsbilder, indem die Musikerinnen die Bruststimme imitieren und durch variantenreiche Diminutien und leichte Vibratos filigrane Verzierungen einarbeiten.
Der Titel „a garden of black flowers“, eine Textzeile aus einem Lied von Claudin de Sermisy, enthüllt den Garten als Rückzugsort der Gefühle, die woanders nicht offen gezeigt werden konnten, und als Klangkosmos voller Sehnsucht und Melancholie. Wie die Blüten im Garten animiert jedes Stück ein besonderes Gefühl, wobei die melancholischen Empfindungen überwiegen.
Man hört die klaren Tonlinien der damaligen Zeit, in denen die polyphonen Muster der Madrigale, Motetten und Chansons sehr poetisch, mit schlanker Noblesse emotionale Traumwelten erschließen, Gefühlsstimmungen aufleuchten und mitunter wie in Luca Marenzios „Dicemi la mia“ und „Le rose fronde e fiori“ zum Tanze auffordern oder sich wie in Vincenzo Ruffos „La Gamba in Basso e Soprano“ zu einer verspielten Tanzvision verdichten, wobei sich das Gamba-Motiv von Tongirlanden umspielt in treibender Rhythmik fast ekstatisch steigert.
Doch schnell verwandelt sich die Szenerie immer wieder in eine wohlige Melancholie als Ausdruck inniger Liebe in ihren unterschiedlichsten Facetten. „Sub umbra illius“ nach Carlo G. manuskript, übersetzt „Im Schatten der Berühmten“ wirkt wie eine vergoldete Reminiszenz, von der Viola dunkel wehmütig untermalt. Giovanni Perluigi da Palestrinas „Pulchra es, amica mea“ steigert die Melancholie in meditativer, verzierter Betrachtung der Schönheit seiner Freundin und Cipriano de Rores gibt Hoffnung. „Lo canterei d’amor si novamente“, zu deutsch „Ich würde es aus Liebe noch einmal singen“.
Lyrisches Ankerlichten als Sinnbild der Hoffnung leuchtet in Cipriano de Rores „Achor che col partiere“ auf und Luzzasco Luzzaschis „Aura soave“ wirkt wie eine Hommage an die Melancholie. Doch in den letzten vier Liedern erden die Tiefen die Höhenflüge der Flöte. Sehnsüchtiges Arkadien schlägt in realen Liebesschmerz um, wird aber final mit Adrian Willaerts „O dolce vita mia“, das einzige gesungene Lied, hoffnungsvoll beendet. „Das süße Leben neigt sich seinem Ende zu … und wird wieder beginnen.“
Freunde der Poesie und melancholischer Stimmungen werden von dieser CD begeistert sein.
Flötistin Johanna Bartz gründete 2016 in Basel das Ensemble „astrophil & stella“. Unter ihrer Leitung tourt es durch Europa. 2017 wurde es im Lutherjahr als „Rheinsberger Hofkapelle“ geehrt, 2020 für das ECOS Lab für innovative Konzertformate des Ecos Festival Sierra Espuña (ES) ausgewählt. Dieses Jahr erschien das erste Album des Ensembles. Johanna Bartz ist seit 2024 Professorin für historische Flöten an der Haut École de Musique Genève. Sie widmet sich auch den zeitgenössischen musikalischen Ausdrucksformen wie Video- und Audioinstallationen, neue Musik und Improvisation.
Gespielt von Johanna Bartz (Leitung, Renaissancetraversflöte), Giovanna Baviera (Gambe, Mezzosopran), Anna Danilevskaia (Gambe), Claire Piganiol (Harfe)
astrophil & stella: „a garden of black flowers“, Albus Fair Editions