Berlin – „Mendelssohn-Festival“ im Pierre Boulez Saal

Konzertkritik vom Mendelssohn Festival im Pierre Boulez Saal präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Klara-Jumi Kang©Michaela Schabel

Mit Musik als Mittel zum Überleben schlägt das Festival gleich zu Beginn die ambivalente Stimmung zwischen Freude am Musizieren und Tod durch sinnlose Vernichtung an. Man vermutet, dass Hans Krása seinen „Tanz für Streichertrio“ kurz vor seiner Vergasung in Theresienstadt komponierte. Er beginnt mit volkstümlich tschechischem Temperament, mitreißend von Sindy Mohamed (Viola), Madeleine Carruzzo (Violine) und Xenia Jankovic (Violoncello) interpretiert. Durch chromatische Tonfärbungen, marschierende Rhythmen, oppositionelle Klangenergie und abgründige Cellointonationen wird die unendliche Melancholie jener dunklen Zeit hörbar, die wie Hans Krásas Leben (1899-1944) und vieler anderer Juden abrupt abbricht. 

Mit vertonten Gedichten aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ von Gustav Mahler weitet sich der Bogen von Liebe und Verlassenwerden, Sich-wieder-finden oder auch nicht im „Rheinlegenchen“ und „Wo die schönen Trompeten blasen“ bis zum Abschied für immer im Soldatenlied „Revelge“. Dietrich Henschels sehr verinnerlichte und gleichzeitig sehr theatralische Interpretation wird durch die fulminante, zuweilen sehr dominierende Begleitung von Elena Bashkirova am Flügel bezüglich der Textverständlichkeit eingeschränkt, wodurch lautmalende Passagen wie der Refrain „Tralali, Tralaley…“ allzu sehr in den Mittelpunkt rücken und die subtilen Passagen trotz der baritonalen Klangschönheit und des großen Stimmumfangs nicht optimal zur Wirkung kommen. Umso schöner wirkt Henschels „Versinken in der Kunst“ analog zu Gustav Mahlers Selbstbekenntnis in einem faszinierenden Pianissimo in der Rückert-Vertonung „Ich bin der Welt abhanden gekommen“.

Die Interpretation von Viktor Ullmanns Rilke-Vertonung „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Das Melodram in zwölf Szenen für Klavier und Sprecher, ebenfalls in Theresienstadt komponiert, ist eine wuchtige Metapher für die Sinnlosigkeit im Krieg zu sterben und Ullmanns Botschaft „In der Musik liegt der Wille zum Leben“. Dem Sprecher gibt die Komposition großen Interpretationspielraum hinsichtlich des Zusammentreffens von Noten und Text, was Dietrich Henschel nutzte, um weitere unvertonte Textzitate aus Rilkes Ballade einzufügen, die ohne Klavierbegleitung am besten zur Wirkung kommen. Die Kombination von Klavier und Sprecher ist zwar per se interessant, weil sie selten zu hören ist, über die pathetische Interpretation ist die Zeit hinweggegangen. Gegen Elena Bashkirovas Leidenschaft für Fortissimi blieb Henschel trotz Mikrophon nur verzweifeltes Schreien, was aber weniger den Schrecken des Kriegsgeschehens verdeutlichte als den Mangel anderer Ausdrucksmöglichkeiten. Die Wucht der Interpretation konnte durchaus mitreißend erlebt werden, aber die Wucht des Textes erschloss sich nur über das Mitlesen im Programmheft.

Nach der Pause brillierte Elena Bashkirova mit Sunwook Kim vierhändig mit Felix Mendelssohn Bartholdys „Sieben Lieder ohne Worte“ aus opp. 62 und 67, ein atmosphärisches Werk zwischen subtilen melancholischen Andantes und temperamentvollen fröhlichen Allegros, zwischen romantischer Gondelfahrt und kräuselnden Wasserbewegungen interpretiert mit klarem weiblichen Anschlag und männlicher Sanftheit, handtechnisch zuweilen überlagernd mit getupften Einzeltönen bei entsprechender Sitzwahl auch ein optisches Erlebnis. 

Zum ekstatischen Höhepunkt avancierte das Finale mit Felix Mendelssohn Bartholdys „Streichquintett Nr. B-Dur op. 87“ mit dem Streichertrio erweitert mit Clara-Jumi Kang und Michael Barenboim. Clara-Jumi Kang übernahm vom ersten Ton an die kammermusikalische Führung, die die anderen MusikerInnen sofort infizierte und eine Leidenschaft entwickelte, die zur Seele drang, und das weite Gefühlsspektrum zwischen himmlischer Glückseligkeit in den Mini-Solis Clara-Jumi Kangs und Cello-Untiefen hörbar machte. In hauchzarten Melodien, spannungsreichen Crescendi, langen kraftvollen Bögen und klangschön gezupften Tönen spiegelte sich die großartige Gefühlsdichte dieser Komposition und zugleich die endorphinisierte Freude der MusikerInnen, die auf das Publikum übersprang und den ersten Festival-Tag zum großartigen Musikerlebnis machten. 

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